Peter van Gestel
Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
Mit Bildern von Gerda Raidt
Beltz & Gelberg, August 2010
192 Seiten, € 12,95
ab 10 Jahre
Inhalt:
Felix Wonder, 10 Jahre alt, lebt Anfang der fünfziger Jahre in Amsterdam in einem großen, alten, heruntergekommenen Haus. Sein Vater verdient den Familienunterhalt als Jongleur im Vorprogramm eines großen Kinos. Mit Veertje, seiner Cousine und besten Freundin, kann er stundenlang gemeinsam schweigen oder Bücher lesen. Leider wandert Veertje schon bald mit ihren Eltern nach Australien aus. Zum Abschied schenkt sie Felix ihre Harlekin-Bücher, die beide über alles lieben. Auch Felix muss bald erneut Abschied nehmen, diesmal von seinen Eltern, denn sein Vater hat ein Engagement auf einem Schiff der Holland-Amerika-Linie bekommen. Seine Mutter will ihn begleiten und Felix soll für diese Zeit in das Kinderheim Freudenvoll. Schon sehr schnell bemerkt Felix, dass es dort alles andere als fröhlich zugeht, er wird gedemütigt und seine geliebten Bücher werden ihm abgenommen. Mit Gerda, die ebenfalls in diesem Heim untergebracht ist und als spezieller Fall gilt, reißt er eines Tages aus.
Rezension:
Obwohl die Geschichte Anfang der fünfziger Jahre spielt, die für uns unendlich weit zurückliegt – in der es beispielsweise Kinos aber keine 3-D-Effekte, dafür aber ein richtiges Orchester und artistisches Vorprogramm gab – wirkt sie an keiner Stelle verstaubt oder altmodisch. Mit liebevollen Beschreibungen versetzt uns Peter van Gestel so nah diese vergangene Zeit, als wäre sie die Gegenwart. Auch wenn der Vater durch seinen außergewöhnlichen Beruf als Jongleur nicht sehr viel Geld verdient, ist für Felix die Welt der Musik und Bücher stets präsent. Er liebt es, wenn seiner Mutter bei ihrem Klavierspiel zuzuhören oder in die Welt der Bücher und Geschichten abzutauchen. Zu seinem elften Geburtstag bekommt Felix einen Zauberkasten geschenkt, für den er sich eigentlich schon zu alt fühlt. Als er aber ins Kinderheim Freundenvoll muss, weil seine Mutter den Vater auf ein langes Engagement auf der Holland-Amerika-Schiffslinie begleitet, packt er neben seinen geliebten Büchern auch diesen Zauberkasten ein, ohne zu wissen, dass ihm das noch zum Verhängnis wird. Da das Kinderheim “Freudenvoll“ heißt, glaubt Felix zunächst völlig naiv, dass ihn hier eine freudenvolle, angenehme Zeit erwartet. Doch schon bald muss er die Realität erkennen. Von den Helferinnen wird er schikaniert und zum Essen gezwungen. Als der Heimleiter ihm beim Begrüßungsgespräch schonungslos klarmacht, dass er auf seine persönlichen Sachen und geliebten Bücher verzichten muss, da es im Heim nützlichere Beschäftigungen gibt, glaubt Felix zunächst noch an einen Witz und das er seine Bücher zurück bekommt. Als das natürlich nicht geschieht und Felix statt dessen mit seinem Zauberkasten vor allen Kindern so sehr vorgeführt und gedemütigt wird, dass er zum ersten Mal als großer Junge in der Nacht sein Bett einnässt, weiten sich die Entwürdigungen aus. Felix wird immer kleiner, resignierter, er versteht die Welt und sich selbst nicht mehr, fühlt sich von seinen Eltern im Stich gelassen. Gerda, ein selbstbewusstes, aufmüpfiges Mädchen, hält als einzige zu ihm. Sie erzählt ihm, dass sie abhauen will und gemeinsam nutzen sie eines Tages eine gute Gelegenheit.
In einer wunderbar ausgefeilten Sprache, die sehr warmherzig, dann wieder bissig ist, beschreibt Peter van Gestel akzentuiert die einzelnen Charaktere. Felix ist ein kluger, cleverer Junge, der trotz seiner Schlagfertigkeit und Pfiffigkeit durch die Demütigungen und Entwürdigungen der Erwachsenen an die Grenze der Belastbarkeit seiner Seele gebracht wird. Aber mit der seltsamen Gerda findet er den Mut zum Ausbruch und Menschen, die ihn verstehen und auffangen.
Dem Autor ist ein eine ergreifende Geschichte einer harten Kindheit Anfang der fünfziger Jahre gelungen, die hoffnungsfroh und gut endet, ohne dass sie rührselig wirkt. Die hervorragende, feinsinnige Übersetzung von Mirjam Pressler macht diesen Rückblick auf ein Stück Zeitgeschichte zu einem Kinderbuch, das den Glauben an Trost, Hoffnung und Zuversicht stärkt und wachsen lässt.
Sabine Hoß
Bewertung: