Salah Naoura
Beltz & Gelberg, Januar 2011
144 Seiten, € 12,95
ab 8 Jahre
Inhalt:
Matti wohnt mit seinem Bruder Sami und seinen Eltern in einer kleinen Wohnung in einer Hochhaussiedlung. Der Vater verdient sein Geld als Busfahrer, programmiert aber tage- und nächtelang Handyspiele, verkriecht sich dafür in sein Computerzimmer und darf nicht gestört werden. Matti und Sami finden es ungerecht, dass Vater als einziger ein eigenes Zimmer hat während alle anderen auf recht engem Raum leben müssen. Die Mutter jongliert zwischen dem stressigen Job als Arzthelferin, Haushalt und Kinder. Obwohl der Vater aus Finnland kommt, haben Matti und Sami noch nie dieses Land besucht und die Sprache sprechen sie auch nicht. Als eines Tages der Bruder des Vaters, Onkel Jussi nebst Tante Marja zu Besuch kommen, werden natürlich Anekdoten von früher zum Besten gegeben. Dabei versuchen sich die beiden Brüder in ihren Leistungen zu übertrumpfen. Stolz erzählt Onkel Jussi, dass er nun der neue Boss vom Holzhof ist, da verkündet der Vater stolz, dass er eine Stelle als Handyspieleentwickler in der Schweiz bekommen hat und die Familie in den Sommerferien umzieht. Die Freude ist natürlich groß und Matti verkündet die große Veränderung auch prompt am nächsten Tag in der Schule. Leider hat sein Vater nicht die Wahrheit gesagt, was jetzt auch für Matti viele unangenehme Situationen bedeutet, da er nicht als Angeber vor seinem Freund stehen will. Da kommt er auf die geniale Idee, seine Mutter zu einer Hausverlosung zu überreden, bei der man in Finnland ein neues Eigenheim gewinnen kann. Ohne Wissen seiner Eltern kombiniert er das geschickt mit einer gesuchten Hausmeistertätigkeit in Finnland für seinen Vater, was sogar zum gewünschten Erfolg führt. Leider steht diese ganze sehr gewagte Verbindung auf ein Gerüst von Lügen, was bedeutet, dass es irgendwann zusammenbricht und die Wahrheit gesagt werden muss. Doch bevor es zum großen „Knall“ kommt, dauert es relativ lange und in dieser Zeit entwickelt sich alles mit ungeahntem Ausmaß. Wie das wohl für Matti endet?
Rezension:
Lügen haben kurze Beine oder bei Pinocchio lange Nasen, das ist allgemein bei Klein und Groß bekannt. Was aber schon mit den kleinen Notlügen im Alltag passiert, welche Lawine damit ausgelöst werden kann, bedenken wir Großen oft nicht. So geschieht es auch bei dem elfjährigen Matti, aufgebaut allerdings auf ein nicht vorbildhaftes Beispiel seines Vaters. Durch eine unbedachte Flunkerei aus einem ewigen Wettstreit zwischen dem Vater und seinem Bruder, wer der Bessere in allem ist, wird ein dickes Lügennetz, aus dem sich bald kein Knoten mehr lösen lässt. Weder der Vater ist bereit, offen zu seiner folgenschweren Flunkerei zu stehen noch gelingt es Matti, der natürlich im besten Wissen die Neuigkeit, dass sein Vater seinen Traumjob bekommen hat, stolz in der Schule weitererzählt. Mit sehr viel Wortwitz beschreibt Salah Naoura nicht nur eine verstrickte Familiengeschichte, sondern zeigt auch mit Charme und Humor das oft nicht einfache Gefühlsleben zwischen der temperamentvollen, deutschen Lebensart von Mattis Mutter und die manchmal eigentümliche, meist wortkarge und zurückgezogene Art des finnischen Vaters. Das Buch beginnt mit dem Höhepunkt der Geschichte, nämlich der Situation, in der gerade die Bombe des Lügenkonstrukts geplatzt ist und die Familie mit wenig Gepäck, ihr altes Zuhause in Deutschland aufgelöst und ohne fahrbaren Untersatz mit falschen Hoffnungen in Finnland angekommen ist. Mit Leichtigkeit erzählt Matti in kurzen, humorvollen Sätzen in einer Rückblende, wie es dazu gekommen ist. In der kleinen, verrückten Geschichte – ohne belehrenden moralischen Fingerzeig – wird deutlich gemacht, dass es besser ist, auch auf kleine Notlügen zu verzichten. Mit rasanter Geschwindigkeit kann sich nämlich aus einem kleinen Notlügenschneeball eine riesige Lügenlawine mit einer unvorhersehbaren Eigendynamik entwickeln. Gefühlvoll und warmherzig werden die einzelnen Charaktere beschrieben, in die man sich gut hineinversetzen kann. Obwohl der Zusammenbruch des Lügengeflechts die Familienbindung auseinanderreißen könnte, lässt es sie näher zusammenrücken und miteinander aus dem Dilemma das Beste zu machen, was ihnen auch gemeinsam nach einigen Mühen gelingt. Ein herrliches, amüsantes Büchlein, das ein ernstes Thema mit Augenzwinkern, doch in keiner Weise oberflächlich erzählt und den „Peter-Härtling-Preis“ der Stadt Weinheim 2010 gewonnen hat.
Sabine Hoß
Bewertung:
Ein Interview mit dem Autor findet Ihr hier: