Wir können alles verlieren oder gewinnen

Seita Parkkola

Aus dem Finnischen übersetzt von Elina Kritzokat

Beltz & Gelberg, Februar 2012

336 Seiten, € 14,95

ab 11 Jahre

 

Inhalt:

Der zwölf Jahre alte Taifun sagt von sich selbst, dass er eigentlich kein schlechter Junge ist, aber ein guter ist er auch nicht. Er liebt es zu fliegen, seine Flügel sind sein Skateboard, das ihn überallhin begleitet. In einer alten, leer stehenden Fabrik trifft Taifun auf India, die so schnell verschwindet, wie sie auftaucht. Seine Eltern leben getrennt und Taifun hat damit zwei Zuhause, doch wohl und aufgehoben fühlt er sich weder bei seinem Vater, der mit einer neuen Lebensgefährtin Irina zusammenlebt, noch bei seiner Mutter. Neben dem „Fliegen“ mit seinem Skateboard hat Taifun noch eine Leidenschaft: er haut immer wieder ab. Da die neue Freundin seines Vaters als Schulpsychologin in einer Schule mit einem ganz neuen und besonderem Konzept arbeitet, organisiert dort sie einen Platz für Taifun. Das  „Haus der Möglichkeiten“ scheint für ihn die letzte Möglichkeit zu sein, auf die „richtige“ Spur  zu wechseln. In dieser Schule trifft Taifun mit anderen sogenannten „Problemschülern“ auf ein merkwürdiges, völlig unbekanntes System von Manipulation, Unterdrückung und harter Bestrafung, die besonders ausfallen. Die Schüler unterliegen einem strengen Regelwerk und das kleinste Vergehen wird in Form eines Galgen für alle sichtbar gemacht. Eine Bestrafung ist die Zuteilung einer festen Freundin, die für Taifun unerträglich ist. Taifun sitzt auf dem Platz von einem Mädchen, über das keiner etwas sagen will oder darf, da sie verschwunden ist. Die Schule ist für Taifun ein Alptraum und er eckt immer wieder mit dem System, den Lehrern und Mitschülern an. Die Freundin seines Vaters erweist sich als grausame und dominante Person, die nicht nur Taifun sondern auch seinen Vater zu manipulieren weiß. Als seine Eltern plötzlich verschwinden und er eine verborgene Kammer im Keller der Schule mit rätselhaften Masken von Kindern entdeckt, hofft er auf Unterstützung von India, die offensichtlich einiges über das „Haus der Möglichkeiten“ weiß. Sie ist die Anführerin einer kleinen Bande von Kindern, die aus dem System ausgebrochen sind und in wilder Freiheit gut versteckt im Untergrund leben. Mit India versucht Taifun hinter das Geheimnis der Schule zu kommen und das System niederzukämpfen.

Rezension:

Die Geschichte, die Taifun aus der Ich-Perspektive erzählt, ist düster und beklemmend. Obwohl er, wie er auch selber von sich sagt, kein richtig guter Junge ist, empfindet man trotzdem eine gewisse Sympathie für ihn, da er offen und ehrlich wirkt. Seine einfache und klare Sprache in kurzen Sätzen ist die eines Pubertierenden: wütend, aufmüpfig dann aber auch wieder verletzlich, ängstlich und nachdenklich. Hier hat die Übersetzerin Elina Kritzokat den richtigen Ton gefunden und umgesetzt. Obwohl Taifun sich im Laufe des Buches entwickelt, agiert und denkt er aber reifer als ein Zwölfjähriger, wie auch seine Freundin India, was nicht immer glaubhaft ist. Es dauert ein wenig, bis man einen wirklichen Zugang zur Geschichte gefunden hat und auch dann entwickelt sich die Handlung ziemlich sprunghaft. Der Reiz dieser Geschichte liegt vor allem in der gelungenen Vermischung von Realität und Utopie, die die Autorin durchaus fesselnd verbunden hat. Die Schule, die nach außen als experimentelle Schule ein völlig neues Bildungs-Konzept präsentiert, zeigt uns ein deprimierendes Horrorszenario von Unterdrückung, Manipulation und Angst, von dem man nur hoffen kann, dass sie eine Fiktion bleibt. Die Manipulation geht sogar über die Kinder hinaus auf die Erwachsene, die in eine Art Zwangsarbeiterlager gesteckt werden, um die finanziellen Schuldenberge ihrer Kinder abzuarbeiten, denn für jeden begangenen Fehler wird den Eltern eine finanzielle Last auferlegt. Dass jemand wie Taifun, der Freiheit über alles liebt, sich dem diktatorischen und totalitären System des „Haus der Möglichkeiten“  nicht beugen kann und will, ist verständlich. Man fragt sich allerdings, warum auch die Erwachsenen so schwach sind und sich nicht wehren. Die Tatsache, dass die Freundin von Taifuns Vater, Irina, diesen aus seinem bisherigen Leben verdrängt und sich selbst an diese Stelle setzt, zeigt wie schwach und manipulierbar auch er ist. Seita Parkkola ist es gelungen, die Geschichte nicht mit brutalen Szenen zu besetzen, sondern belässt es bei kurzen, prägnanten Beschreibungen, die durchaus reichen. Leider wird an einigen Stellen manches nur angerissen und nicht plausibel gemacht, was die eigentlich interessante Idee oberflächlich umgesetzt wirken lässt. So bleibt beispielsweise offen, warum und für welchen Zweck die Masken in dem Keller aufbewahrt wurden und wieso auf einmal alle Lehrer der Schule verschwunden sind. Ebenso bleibt ungeklärt, warum die Eltern sich nicht wehren oder es zumindest versuchen.

„Jeder muss selbst entscheiden, ob er mir glaubt“ sagt Taifun am Schluss, was zeigt, dass es eine ziemlich abenteuerliche und gewagte Geschichte ist, die trotz mangelnder Strukturierung, einer sprunghaften und teils oberflächlichen Story durch die gelungene Kombination von Realität und beklemmender, düsterer Fiktion fasziniert. „Du darfst nie an den falschen Stellen gehorchen“  ist eine Warnung von Taifuns Vater, die durch subtile Manipulation untergraben wurde und letztlich als Mahnung zurückbleibt.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

 

 

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