Brian Selznick
Mit Illustrationen von Brian Selznick
Aus dem Englischen von Dr. Uwe-Michael Gutzschhahn
cbj, März 2012
640 Seiten, € 19,99
ab 10 Jahre
Es gibt Bücher, bei denen fällt es schwer, sie in die Kategorien Inhalt und Bewertung zu unterteilen, weil sie ganz besonders und vor allem ganz anders sind. So ein Werk ist das neueste Buch von Brian Selznick, der bereits mit „Hugo Cabret“ großen Erfolg feiern konnte und die Verfilmung mit einem Oscar bedacht wurde.
In „Wunderlicht“ ist Selznick seinem Erzählstil treu geblieben und doch hat er ihn verfeinert bzw. erweitert. Während er in „Hugo Cabret“ die erzählte Geschichte mit seinen wunderbaren Illustrationen begleitet, erlebt der Leser in „Wunderlicht“ zwei parallel laufende Geschichten mit zwei unterschiedlichen Protagonisten, die auch in zwei unterschiedlichen Zeitebenen geschehen. Da gibt es zum einen Ben, der im Jahre 1977 lebt. Er ist von Geburt an auf einem Ohr taub und lebt nach dem Tode seiner Mutter seit drei Monaten bei seiner Tante, der Schwester seiner Mutter. Besonders wohl fühlt sich Ben in der Familie nicht, er hat das Gefühl mehr geduldet als wirklich willkommen zu sein. Da sein altes Zuhause, das Haus, in dem er bis vor kurzem mit seiner Mutter gelebt hat, nicht allzu weit von seinem jetzigen ist, kehrt er so oft wie möglich dorthin, um sich seinen Erinnerungen und Trauer ungestört hingeben zu können. So sucht er eines Tages während eines Sturms dort Zuflucht und entdeckt das Buch „Wunderlicht“ mit einer rätselhaften Widmung und einem Lesezeichen mit einer Telefonnummer. Endlich glaubt Ben einen Anhaltspunkt gefunden zu haben, wer sein Vater ist und wo er ihn finden könnte. Sein Ziel heißt New York und Ben macht sich trotz eines Handicaps auf die Reise und die Suche nach seinem Vater. Parallel zu Ben`s Geschichte blicken wir mit beeindruckenden, intensiven schwarz-weiß-Illustrationen in das Jahr 1927 und tauchen in das Leben von Rose ein, die in einem Meer von gebastelten Papiertürmen alleine in ihrem Zimmer lebt. Die Türme sind Nachbildungen von Häusern aus der Skyline von New York, der Stadt, in der das Mädchen wohnt. Rose ist gehörlos und lebt offenbar in ihrer eigenen Welt – und fühlt sich einsam. So einsam, dass sie mit einem ausgesetzte Papierschiffchen um Hilfe bittet. Sie ist begeistert von der Stummfilmschauspielerin Lillian Mayhew, von der sie alle Zeitungsartikel fein säuberlich sammelt und in einem Album zusammenträgt. Auch Rose verlässt ihr Zuhause und macht sich auf die Suche nach der wunderschönen Schauspielerin – und vor allem nach dem Gefühl von Geborgenheit und Liebe.
Als das Mädchen die Schauspielerin findet, ist diese kalt und abweisend zu ihr und fordert sie auf, wieder zurück zu gehen. Das ist deshalb grausam, denn der gefeierte Stummfilmstar ist Rose` Mutter. Rose will nicht wieder in die abgestumpfte Einsamkeit zurück und läuft weg. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem Bruder, der im „American Museum of Natural History“ arbeitet, in der Hoffnung, endlich irgendwo hinzugehören und anzukommen.
Beide Protagonisten sind auf der Suche, jeder mit seinem ganz persönlichen Ziel. Dabei agieren sie nicht unbedacht oder kopflos aber zielstrebig, kämpferisch und mit sehr viel Hoffnung. Das „American Museum of Natural History“ ist der Ort, an dem Rose und Ben mit ihren unterschiedlichen Lebensläufe aufeinander treffen, was der Autor perfekt zusammen kommen und trotzdem die Geschichte zum weiterdenken offen lässt.
Mit diesem Buch hat Brian Selznick seine Kunst und sein Können zu einem beeindruckenden und strahlendem Meisterwerk entwickelt. Chapeau! Er spricht mit „Wunderlicht“ nicht nur die Welt der Gehörlosen mit ihren Problemen, Besonderheiten und Möglichkeiten an und bindet sehr geschickt die Stummfilmzeit und das Ende dieser Ära mit ein. Die Geschichte zeigt uns auch die magischen, imaginären Wunderkammern in einem Museum, die im übertragenen Sinne unsere eigenen, persönlichen „Wunderkammern“ darstellen. Es sind die Kammern der Erinnerungen, des Aufbewahrens, des Festhaltens und des Weitergebens auf dem eigenen Lebensweg– sie werden wunderbar in diesem Buch am Beispiel der beiden Lebensläufe deutlich gemacht. Auch wenn die schwarz-weiß-Zeichnungen mitunter düster wirken – das Buch insgesamt strahlt wie ein erhellendes Licht.
Wunderbar auch hier wieder die harmonische Übersetzung von Uwe-Michael Gutzschhahn.
Ach ja: Mittlerweile ist es zur (Un-)Sitte geworden, jedes halbwegs erfolgreiche Kinder- und Jugendbuch unbedingt verfilmen zu müssen. So auch „Hugo Cabret“, dass zumindest in seiner filmischen Umsetzung immerhin preisgekrönt wurde.
Ich persönlich fände es schön, wenn man die Helligkeit und Leuchtkraft von „Wunderlicht“ so strahlen lassen würde, wie sie jetzt zu entdecken ist:
Schlicht und einfach und für jeden mit seiner Phantasie aufnehmend zwischen Buch und Deckel. 🙂
Sabine Hoß
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