Paul Maar
Oetinger, Oktober 2012
208 Seiten, € 13,95
ab 9 Jahre
Inhalt:
Philipp Mattenheim, genannt Lippel soll mit seinen Eltern seine Sommerferien in Norwegen auf den Lofoten verbringen, was er furchtbar langweilig findet und überhaupt keine Lust dazu hat. Viel lieber würde er alleine zu Hause bleiben und einen Turm Bücher verschlingen. Doch nach einem Gespräch mit seiner Nachbarin Frau
Jeschke lässt er sich dazu überreden, mit seinen Eltern in den Norden zu reisen. Im Ferienpark angekommen scheint der Urlaub tatsächlich erst einmal ziemlich eintönig zu werden, denn Lippels Vater geht jeden Morgen früh zum Angeln raus, Mutter sucht Ruhe oder will den Ort und die Geschäfte erkunden. Lippel kann wegen der langen Helligkeit nicht in seine geliebten Träumereien versinken, was den Urlaubsort für ihn nicht attraktiver macht. Als er mit seiner Mutter in den Ort geht, werden sie durch laute Geräuschen in der Garage aufmerksam. Sie befreien ein wildes rothaariges, widerspenstiges Mädchen, das kaum befreit, sofort davon läuft. Da sie auf der kleinen Insel sein muss, macht sich Lippel am nächsten Tag auf den Weg ins Dorf um sie zu suchen und er findet sie auch. Luna lebt bei ihrer Großmutter, die einen kleinen Laden im Dorf hat. Nach eingem Zögern freunden sich Luna und Lippel an und erkunden gemeinsam die Gegend. Manchmal verhält sich Luna sehr sonderbar, geht aber auf Lippels Fragen nach dem Warum nicht ein. Durch das nähere Kennenlernen mit Luna versinkt Lippel dann doch endlich in seine herbeigesehnten Träume und verschwindet mit einem sehr Luna-ähnlichen Trollin Ganaxa. Lippel weiß manchmal nicht, ob seine Träume real sind oder die Wirklichkeit ein Traum. In der Realität bricht Lippel ein Geheimnis, das er Luna gegeben hat. Er bittet sie mehrmals um Verzeihung, die sie aber immer wieder ausschlägt. Lippel gibt aber nicht auf und kommt ganz langsam und mit Unterstützung seiner Mutter hinter das Geheimnis von Lunas merkwürdigem Verhalten. Doch wird sie auch ihm gegenüber ehrlich sein?
Rezension:
1984 erschien im Oetinger Verlag „Lippels Traum“ und ist bis heute ein berechtigter Klassiker. Das Buch wurde seitdem mehrfach mit unterschiedlicher Qualität verfilmt. Warum eine so wunderbare und in sich abgeschlossene Geschichte viele Jahre später dann auf einmal fortgesetzt wird – und ob das sinnvoll ist -, bleibt eine Frage für sich.
Die Fortsetzung beginnt unbestimmte Zeit später und der 11-jährige Lippel wie seine Eltern scheinen aus einer anderen Zeit entrückt: Lippel trinkt freiwillig (!) Kräutertee, die Mutter blättert entspannt auf dem Sofa in einem Bildband. Auf die Lofoten fahren sie, weil der Hausarzt ihnen den Tipp gegeben hat. Eine Idylle, so amüsant wie nostalgisch, um nicht zu sagen unrealistisch, hat man den Einblick in den Alltag vieler Familien, in denen die Kinder bei angebotenem Kräutertee nur das Weite suchen würden und die Mutter in der hektischen täglichen Balance zwischen Beruf und Familie nur selten oder spät abends Zeit hat, entspannt auf dem Sofa in einem Bildband zu blättern. Während das erste Lippel-Buch aus einem Guss geschrieben ist, sich Realität und Traum perfekt in Harmonie ergänzen, wirkt diese Fortsetzung eher bemüht und konstruiert. Paul Maar schafft mit der Bilderbuch gestaltenden Großmutter von Luna zwar die Basis, mit der Lippel die Tür zu seinen fünf Träumen in die Welt der Trolle findet, nur wirklich originell ist das nicht. In diesen Träumen taucht Lippel in die bizarre skandinavische Trollwelt mit für uns Menschen herrlich komischen, anachronistischen Benimmregeln und Gebräuchen, über die sich Kinder mit Sicherheit amüsieren. Der Autor hat einige Elemente aus der nordischen Mythologie in den Trollgeschichten verarbeitet, was durchaus passend ist, doch gelingt den Träumen lange nicht die verbindende Einheit zur Rahmenhandlung wie in dem Buch „Lippels Traum“. Obwohl die Trolle ihren ganz eigenen Charme besitzen und besonders Ganaxa mit ihren abstehenden Fledermausohren, dem roten Haar und der riesigen Nase nebst langem Puschelschwanz ein wilder und widerborstige Charakter ist, wirken die Träume in die reale Handlung künstlich eingebunden und daher auf eigenartige Weise störend. Was der Geschichte dann aber letztendlich überhaupt nicht gerecht wird, ist die überfrachtete Auflösung von Lunas Geheimnis und seltsamen Verhalten. Hier wird plötzlich am Ende des Buches im emotionalen Schnelldurchgang ein trauriges Schicksal abgehandelt, das zwar erklärend ist, aber durch das plötzliche erzählerische Tempo keine Sensibilität bietet und damit ziemlich oberflächlich bleibt. Das rettet auch nicht das aufeinander zugehen von Luna und Lippel, verbunden mit der gar nicht so leichten Geste, sich zu entschuldigen und die nicht weniger einfachere, diese anzunehmen.
„Lippel, träumst Du schon wieder“ ist für sich betrachtet ein nettes Kinderbuch mit einem netten Protagonisten, nicht weniger aber auch nicht mehr. Manchmal ist das mit Fortsetzungen von Büchern so, wie mit einem wunderschönen Traum, bei dem man mit einem Lächeln aufwacht. Auch wenn man sich noch so sehr bemüht, ihn zu wiederholen, es wird nicht gelingen und man kann von der blassen Kopie nur enttäuscht werden.
Genau so ist Paul Maar mit diesem weiterträumenden Lippel leider weit unter dem geblieben, was er eigentlich an Ideen, Erzählvirtuosität und Umsetzungskraft bieten kann.
Sabine Hoß
Bewertung: