Raquel J. Palacio
Aus dem Englischen von André Mumot
Hanser, Januar 2013
384 Seiten, € 16,90
ab 11 Jahre
Inhalt:
August, 10 Jahre alt, leidet seit seiner Geburt an dem Treacher-Collins-Syndrom, einem vererbbaren genetischen Defekt. Sein Gesicht ist trotz vieler Operationen sehr entstellt und fremde Menschen reagieren bei seinem Anblick entsetzt. Obwohl August es nicht anders kennt, leidet er verständlicherweise sehr unter diesen Reaktionen. Seine Eltern und seine ältere Schwester Via sind sein fester Rückhalt. August` Eltern versuchen so normal wie möglich mit August umzugehen und sind immer für ihn da. Bis jetzt hat ihn seine Mutter zu Hause unterrichtet. Da August aber ein sehr intelligenter Junge ist, überlegen die Eltern ihn ab der fünften Klasse auf die Beecher Prep Middle School gehen zu lassen. Nach erstem Zögern entschließt sich August, diesen Schritt zu gehen. Er hat die Sicherheit, dass er die Möglichkeit eines Rücktritts hat, wenn er glaubt, nicht stark genug für die zu erwartenden Ablehnungen zu sein. Und auf die trifft er schon sehr schnell, nachdem der erste Schock über sein Äußeres bei den Mitschülern verflogen ist. August weiß, dass ihm die meisten Gemeinheiten aus purer Hilflosigkeit und Verunsicherung angetan werden. Obwohl er immer wieder drangsaliert wird schafft er es, mit Klugheit, Kraft und Mut sich dem zu widersetzen. Es gibt auch Mitschüler, die seinen Humor, Intelligenz und starke Persönlichkeit erkennen – müssen sich aber mit Mut den Weg zu einer Freundschaft mit August erkämpfen.
Rezension:
Die Autorin Raquel J. Palacio präsentiert mit diesem Buch ein außerordentliches Debüt. Bevor sie durch eine zufällige Begegnung mit einem ganz besonderen Jungen den richtigen Grund zum Schreiben ihres eigenen Buches hatte, gestaltete sie 20 Jahre als Art Director die Cover von Bücher anderer Leute. Dieser Roman fesselt von der ersten Seite an. In klarem,flüssigem Schreibstil lernt man den Protagonisten August kennen, den man nicht aus Mitleid ihn sein Herz schließt, sondern wegen seiner klugen, zurückhaltenden Art, die sehr viel Toleranz und Stärke zeigt. Eine Toleranz, die durch das gemeine und erniedrigende Verhalten seiner Umwelt nur sehr selten erwidert wird. In abwechselnden Kapiteln erzählen sechs verschiedene Mitschüler aus ihrer Sicht und auf ihrer ganz eigenen Art und Weise das Kennenlernen von August und dem veränderten Miteinander in der Schule. Berührend die Sichtweise von August` Schwester Via, die ihren Bruder unendlich liebt, aber auch sehr oft für ihn zurückstecken muss. Ebenfalls natürlich und nachvollziehbar die Ängste, Hoffnungen der Eltern und bemerkenswert die Einstellung und das Rückgrat des Schulleiters Mr. Pomann. Jedem Kapitel vorangestellt ist ein kleiner Leitsatz oder Maxime, die zum Abschnitt passt. Im Anhang sind einige Maxime zusammgestellt, die jede für sich zum Weiterdenken anregt. Die Autorin schafft es mit ihren lebendigen, natürlichen und stets nachvollziehbaren Charakteren den Leser in eine breite Gefühlswelt eintauchen zu lassen: Man ist traurig, verzweifelt, wütend, hat Hoffnung und wird enttäuscht. Wenn man am Ende das Buch mit einem guten und glücklichen Gefühl schließt, liegt es nicht an einem rührseligen Schluss, sondern nicht zuletzt an der klug strukturierten Handlung und Figuren, denen man sehr nahe gekommen ist. Der sehr vielschichtige Roman ist ein bewegender Beweis für mehr Menschlichkeit, Freundlichkeit und Toleranz im Miteinander. Eigentlich etwas selbstverständliches, sollte man meinen. Doch genau das geht in der gegenwärtigen schnellen und oberflächlichen Gesellschaft immer mehr verloren. August ist trotz seines entstellten Gesichts ein intelligenter und überdurchschnittlich guter Schüler. Trotzdem wollen ihn einige Eltern seiner Mitschüler nicht auf einer „normalen“ Schule sehen. An dieser Stelle wird auch das immer wieder diskutierte Thema der Integration behinderter Kinder in Schulklassen thematisiert. Manche Beschreibungen von Verhaltensweisen der Mitschüler oder Erwachsenen August gegenüber sind nicht überzogen sondern einfach nur beschämend und machen nachdenklich. Durch seine innere Stärke schafft August, das Verhalten der Mitschüler (und Erwachsene) positiv zu verändern. Obwohl die Geschichte im Wesentlichen durch verschiedene Emotionen getragen wird, kippt sie an keiner Stelle ins rührselige oder kitschige ab.
Ein vielschichtiger und aufrüttelnder Roman, in dem man sehr viel von der Klugheit, Toleranz, Freundlich- und Menschlichkeit eines 10-jährigen Jungen lernen kann, der außerhalb seiner Familie bisher in seinem Leben nur das Gegenteil kennengelernt hat . Und nur deshalb, weil er anders aussieht, als andere.
Die ehemalige Art Directorin wird sich sicher gefreut haben, ein so überzeugendes und stimmiges Cover für ihr Buch bekommen zu haben, wie man es selten sieht. Wie der Roman, fällt auch der Schutzumschlag herausragend aus dem Rahmen.
„Wunder“ ist ein Buch, das ich als Schullektüre uneingeschränkt empfehlen kann – und von Erwachsenen jeden Alters gelesen werden sollte.
Am Schluss eine Hervorhebung des Übersetzers André Mumot, der die Sprache von Raquel J. Palacio hervorragend übertragen hat.
Sabine Hoß
Bewertung: