Block 77

Block 77 KLEIN

Sabrina Schellhoff

BVK Buch Verlag Kempen, Dezember 2012

144 Seiten, € 6,50

ab 12 Jahre

 

 

 

Der BVK ist ein Verlag, der sich seit siebzehn Jahre insbesondere mit der „Entwicklung pädagogischer Konzepte und der daraus resultierenden Herausgabe praxistauglicher Unterrichtsmaterialien beschäftigt“. Daher sind ihre Bücher breitgefächerte Unterrichtslektüren, die mit interessanten und originellen Autorenlesungen bereichert werden können. So ist z.B. die Autorin Rosi Wanner und ihre „Karottenbande“ hier beheimatet und mit ihren „Mitmach“ Lesungen in Schulen ein gern gesehener Gast.

Auf das Buch „Block 77“ bin ich aufmerksam geworden, da die junge Autorin Sabrina Schellhoff wenige Kilometer von meinem Zuhause wohnt. Doch nicht nur das hat mich neugierig gemacht, auch die Tatsache, dass sie dieses schmale Buch im Alter von fünfzehn Jahren geschrieben hat. Einem Alter, in dem es (für Mädchen) nicht ungewöhnlich ist, dass sie ihre Gedanken niederschreiben. Ungewöhnlich ist bei Sabrina Schellhoff allerdings die Thematik, die sich nicht um Pferdegeschichten, Liebes- oder Fantasygeschichten dreht, sondern um einen Jungen und seiner Familie, die im sozialen Brennpunkt lebt.

Das Buch ist mit unterschiedlichen Schriften, die wie Randnotizen in einem Tagebuch erscheinen, liebevoll und originell graphisch gestaltet. Passende Illustrationen geben diesem Gedankenmemorandum eine weitere auflockernde Atmosphäre.

Felix, 15 Jahre alt, lebt mit seinen Eltern in einer schäbigen Sozial-Wohnung. Der Vater hat gerade seinen Job im Supermarkt verloren hat, die Mutter hat ebenfalls keine feste Arbeit und Felix Oma, die Mutter seines Vaters, ist Alkoholikerin. Geld ist nie da, der familiäre liebevolle Zusammenhalt ist daran zerbrochen und echte Freundschaften sind in diesem Milieu nicht aufzubauen. Klar, rücksichtslos ehrlich und offen beschreibt Sabrina Schellhoff die Ängste, Sorgen und Wünsche dieses Jungen. Sie beschönigt nichts und beschreibt mit der Wut und Wucht jugendlicher Schonungslosigkeit viele Klischees. Die Mutter verlässt für einen neuen Typen von heute auf morgen die Familie, Felix wird von einer Blockbande brutal überfallen und verprügelt, seine heimliche Flamme geht mit einer Art Kumpel, die Oma betrinkt sich hoffnungslos weiter und stirbt an einer Alkoholvergiftung. In der Schule ist Felix eigentlich gar nicht so schlecht, nur fällt es ihm natürlich schwer, sich zu konzentrieren. So weit so gut. Doch es gibt in dieser intensiven, schwarzen Milieu-Beschreibung des sozialen Brennpunkts keine Nuancen. Es gibt kein hellschwarz, kein grau, nicht einmal ein leichtes helles Aufflackern, was mir persönlich zu einseitig und zu einfach ist. Natürlich gibt es für Jugendliche oder Kinder wie Felix mehr düstere Tage und Aussichten als Sonnenschein und positive Blicke in die Zukunft. Auf dem Klappentext des Buches steht jedoch, dass Felix kämpft, für seine Familie und für sich. Gerade diesen Kampf habe ich gesucht und nicht gefunden. Im Gegenteil, Felix kämpft nicht sondern lässt alles auf sich zukommen und wählt letztlich den Freitod. Ich habe mich beim Lesen gefragt, wie dieses Buch auf Jugendliche wirken muss, die in solchen Lebensumständen leben? Auch wenn es in den Klassen von außen nicht immer sofort ersichtlich ist, die Zahl der sozial Bedürftigen nimmt dramatisch zu. Mit welcher Perspektive legt ein solcher Jugendlicher dieses Buch zur Seite? Das es nirgendwo einen Halt gibt, wenn man ganz unten ist? Dass es besser ist, von dieser Welt zu gehen, als sich an die verschiedenen Initiativen und Institutionen zu wenden, die, so gut es irgendwie geht, versuchen aufzufangen?

Natürlich will diese Geschichte genau damit  auch provozieren. Aber sie befindet sich damit auf einem schmalen Grat, denn nicht alle Jugendliche haben die Fähigkeit, dies so zu durchschauen und reflektieren.

Was bleibt, ist eine in der Tat beeindruckende Geschichte, die eine fünfzehnjährige geschrieben hat.  Beeindruckend in ihrer Schreibweise, provokant und nicht ganz ungefährlich in ihrer Aussage. Ein Buch, das man unisono jedem Jugendlichen als Leseempfehlung in die Hand drücken möchte, ist es daher für mich nicht.

Als Klassenlektüre mit entsprechendem Unterrichtsmaterial aber auf jeden Fall ein Buch, dass viele Diskussionen und Gespräche ins Rollen bringt – und damit wieder empfehlenswert ist. Die Autorin steht zudem in der Städteregion Aachen den Klassen für Lesungen zur Verfügung, was sicher den Austausch und die Diskussion noch interessanter macht.

Sabine Hoß

Bewertung:

Ein Interview mit der Autorin findet Ihr hier:

 

 

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