Anna Kuschnarowa
Gulliver (Beltz & Gelberg), 2012
384 Seiten, € 14,95
ab 14 Jahre
Mit Buchpreisen ist das ja manchmal so eine Sache. Bei manchen Büchern wundert man sich, dass sie für preiswürdig befunden wurden, bei anderen ist man erstaunt bis traurig, dass sie von keiner Jury entdeckt werden. Aber manchmal wird man durch einen Preis erst auf ein Buch aufmerksam gemacht, das einem bisher in der großen Masse an Neuerscheinungen verborgen blieb.
Für das Buch „Kinshasa Dreams“ von Anna Kuschnarowa gilt für mich letzeres.
Auf dieses Buch aus dem Gulliver/Beltz & Gelberg-Verlag bin ich aufmerksam geworden, da es den diesjährigen Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher erhält.
Der Preis der nordrhein-westfälischen Landesregierung erinnert an das couragierte Engagement des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Es werden Bücher ausgezeichnet, die Kinder und Jugendliche ermutigen, sich für Zivilcourage und Toleranz, für Menschenrechte und für gewaltfreie Formen der Konfliktlösung einzusetzen.
Die mit 7.500 Euro dotierte und eine der wichtigsten Auszeichnungen für deutschsprachige Kinder- und Jugendbücher mit friedenspolitischem Inhalt wird zum 30. Mal am 11. Dezember 2013 in Berlin an Anna Kuschnarowa vergeben.
Während eines heftigen Gewitters wird Jengo Longomba in Kinshasa geboren. Seine abergläubische Großmutter sieht darin ein böses Omen und seit seiner ersten Stunde gilt Jengo daher als Hexenkind. Seine Mutter steht unter der strengen Kontrolle der Großmutter, sein Vater ist nur selten zuhause, er verdient gutes Geld mit dem Handel von Coltan am anderen Ende der Republik Kongo. Kommt er mit Geschenken beladen nach Hause gibt es meist sehr schnell Streit zwischen seiner Mutter, so dass es bei kurzen Stippvisiten bleibt. Für die Großmutter ist Jengos Vater eine Null und wann immer es geht, macht sie ihrer Tochter Vorwürfe, warum sie ausgerechnet einen muslimischen Senegalesen und keinen christlichen Kongolesen geheiratet hat. Jengo hat noch vier jüngere Geschwister, die alle mehr Achtung und Respekt bekommen als er, das Hexenkind. Nur von seinem Großvater erfährt Jengo Liebe und er ist es auch, der ihm hilft, seinen Traum zu realisieren. Jengo will Boxer werden und er hat auch das nötige Talent. Als sein Vater stirbt, verschwindet seine Mutter von einem Tag auf den anderen und lässt ihn und seine jüngeren Geschwister alleine in Kinshasa zurück. Nach einigem Zögern beschließt Jengo gemeinsam mit Jaques, der von seinen Eltern verstoßen wurde und auf der Straße lebt, nach Europa abzuhauen. Seine Mutter hat geschrieben, dass sie in Paris lebt und dort will er hin. Sein Ziel ist es, in Europa Boxer zu werden und dafür riskiert er alles. Eine gefährliche und abenteuerliche Reise über Ägypten und Libyen führt Jengo nach Frankreich. Hier findet er als Illegaler Unterschlupf bei einem zwielichtigen Boxstall, der ihn verheizt statt ordentlich aufzubauen. Jengo ist alleine, weiß nicht, wo seine Mutter ist, muss immer auf der Hut sein, um nicht als Illegaler entdeckt zu werden. Mehr als vier Leben durchkämpft Jengo auf seiner Reise in ein besseres Leben: Hexenkind in Kinshasa, Betbruder bei den Salafisten, Bäckerlehrling in Kairo. Bis zuletzt gibt er die Hoffnung nicht auf, endlich irgendwo anzukommen.
Es ist eine bewegende, aufrüttelnde Geschichte eines jungen Afrikaners, der aus seinem Land raus muss. Eine Geschichte, die beschämt, wenn man die grausamen und demütigenden Zustände und das Verhalten der Europäer in den Flüchtlingslagern bzw. in Lampedusa erfährt.
Anna Kuschnarowa erzählt in einer klaren und unerbittlichen Sprache vom Leben, der Gesellschaft und Abgründen in Afrika und den Gründen, warum diese Menschen in ein besseres Leben flüchten wollen oder müssen. Viele schaffen es nicht, nicht alle haben die physische und psychische Stärke wie Jengo. Seine Unerbittlichkeit, immer wieder von vorne zu beginnen, sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, bewegt und rüttelt auf.
„Anna Kuschnarowa beschreibt auf bewegende Art die Situation von Flüchtlingen und das Schicksal von Afrikanern, die in die Illegalität und in ein Schattendasein auf einem fremden Kontinent fliehen müssen, weil sie in ihren Heimatländern bedroht werden“, begründet die nordrhein-westfälische Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, Ute Schäfer, die Entscheidung für Kuschnarowas Roman.
Eine würdige Auszeichnung für ein besonderes Buch, zu der auch „Bücher leben!“ der Autorin Anna Kuschnarowa ganz herzlich gratuliert.
Sabine Hoß
Ein Interview mit der Autorin findet Ihr hier: