Kirsten Boie
Oetinger, Oktober 2013
112 Seiten, € 12,95
ab 14 Jahre
Es ist ein kleines, schmales Büchlein mit vier kurzen Geschichten, in denen Kirsten Boie, die sich seit vielen Jahren in Swasiland engagiert, von ihren Erlebnissen und Eindrücken erzählt, die sie bei ihren dort Aufenthalten erfahren hat. Swasiland ist das Land mit der höchsten Aids-Rate auf der Erde, hier leben 900.000 Menschen, davon allein 120.000 Kinder, die mindestens ein Elternteil durch Aids verloren haben. Die Kinder bleiben meist alleine zurück, wenn sie nicht das Glück haben, dass eine Gugu (Großmutter) sich um sie kümmert.
So wie bei dem 11-jährige Thulani und seiner kleineren Schwester Nomphilo, die nur noch ihre Gugu haben. Thulani weiß, dass es ein Dorf gibt, in dem die Kinder ein Zuhause finden, die keine Eltern mehr haben. Doch es gibt viel mehr Kinder ohne Eltern, als das Dorf aufnehmen kann. Thulani bekommt ein schlechtes Gewissen, wenn er sich vorstellt, wie er und seine kleine Schwester dort leben und seine Großmutter alleine lässt.
In „Mamas Buch“ wird die Geschichte von Sonto, Pholile und ihrem Bruder Bheki erzählt, deren Mutter ein Erinnerungsbuch für ihre Kinder geschrieben hat, bevor sie gestorben ist. In diesen Erinnerungsbüchern schreiben die Frauen die Gedanken und Wünsche auf, solange sie es gesundheitlich können. Der letzte Wunsch von Sonto`s Mutter war, dass sie mit ihren Geschwistern zur Krankenstation in Mhlosheni gehen soll, um sich untersuchen und helfen zu lassen.
Jungile ärgert sich, weil ihre jüngere Schwester nicht mehr zur Schule geht, weil man ihr dort die Sandalen geklaut hat. Jungile verzichtet zu Gunsten ihrer Schwester auf den Unterricht und nicht zuletzt auch, weil ihr die Kleidung fehlt. Ihre jüngere Schwester soll auf jeden Fall die Schule besuchen, was aber ohne Schuhe nicht geht. Jungile macht sich mit einem abgebrochenen Zweig als Maß auf in die große Stadt, weil sie hofft, dort in der Fabrik Arbeit zu finden oder ihre selbstgeflochtene Matten verkaufen zu können. Beides ist erfolgslos, da erzählt man ihr von Matsapha Truck Stop. Hier stehen Mädchen in Jungiles Alter in knapper Kleidung an der Straße und steigen in die vorbeifahrenden LKW`s ein…
Sipho streitet sich eines Tages mit seiner kleineren Schwester Nomsa um ein Hühnerei, dass er gefunden hat, aber auf Anweisung der Gugu seine Schwester bekommen soll. Aus Wut über diese Ungerechtigkeit weigert er sich, Wasser aus dem nahen Brunnen zu holen. Als er und die Gugu aneinander geraten, fängt der Rock der Großmutter Feuer. Sipho erstarrt, denn er weiß, dass kein Wasser zum Löschen da ist und verzweifelt fast über seine Schuldgefühle.
Es sind vier Geschichten, die in einer poetischen, berührenden und leicht zu verstehenden Sprache einen Einblick in das für uns so fremde Leben der Kinder in Swasiland bieten. Kirsten Boie verbindet innerhalb der Erzählungen geschickt und spannend aufgebaut Rückblicke mit der Gegenwart. Sie zeigen, dass viele Kinder unter für uns kaum nachvollziehbaren Bedingungen und Umständen überwiegend alleine groß werden. Ein Schulbesuch ist Luxus, denn Schuhe und Schuluniformen können sich nur wenige leisten und oft kann nur ein Geschwisterkind den Unterricht besuchen. Doch trotz aller Widrigkeiten strahlen die Kinder großen Stolz und unglaublichen Lebensmut aus. Rote Sandpisten, dürre Ödnis bestimmen die Landschaft, auf denen sie viele Stunden lang in sengender Hitze zu ihren Schulen, Geschäften oder Krankenstationen wandern müssen. Für uns völlig unvorstellbar, wo viele hier am liebsten die Kinder mit dem Wagen bis in den Klassenraum fahren würden und erträgliche Distanzen zu Fuß oder per Rad für unzumutbar betrachtet werden.
Diese vier Erzählungen bleiben im Gedächtnis. Sie bewegen, erschüttern – und sind traurig, ohne Zweifel. Doch wie sagt Kirsten Boie in ihrem Nachwort: „Wenn die Geschichten traurig sind, kann ich es darum nicht ändern. Trauriger als die Wirklichkeit sind sie nicht.“
Die Bilder von Regina Kehn sind an Tafelbilder angelehnt und passen mit ihren roten-schwarzen Farben atmosphärisch zu der beschriebenen Landschaft in Swasiland.
Sabine Hoß
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