Holly-Jane Rahlens
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
rororo rotfuchs, Oktober 2013
160 Seiten, € 16,99
ab 9 Jahre
Einen Gegenstand auf eine Zeitreise zu schicken ist nun in der (Kinder- und Jugend-)Literatur nichts außergewöhnliches oder originelles. Trotzdem hat die Geschichte von Holly-Jane Rahlens um ein einen hundert Jahre alten Wandbehang aus Seide einen ganz besonderen Reiz und Charme.
Die Autorin, die 2003 für „Prinz William, Maximilian Minsky und ich“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde und mit zahlreichen anderen Büchern Erfolge feierte (wie z.B.“Mein kleines großes Leben“ oder „Mauerblümchen“, beide rororo), wurde für diese Geschichte von einem alten jüdischen Volkslied inspiriert. Sie hat dies aber insofern verändert und weitergedacht, indem sie ein Stück Stoff als Familienerbstück über viele Generationen hinweg weitergibt. Der Wandbehang verändert sich im Laufe der Zeit, wird befleckt und zerschlissen und stetig kleiner und trotzdem immer reicher an Erinnerungen.
Stella Menzel bekommt zu ihrer Geburt von ihrer Großmutter Josephine eine blaue Seidendecke geschenkt, die mit silbernen Sternen und Schneeflocken übersät ist. Es ist ein altes Erbstück, das bereits Stellas Urururgroßmutter gehört hat und das besondere ist der goldene Faden, mit dem der ursprüngliche Wandbehang genäht wurde. Diese Decke ist ihr ständiger Begleiter und daher ist sie sehr traurig, als sie beim Spiel von zwei Schäferhunden aus der Nachbarschaft zerrissen wird. Verzweifelt kehrt sie mit der alten, fleckigen und zerfetzten Decke nach Hause. Während ihre Mutter Isabel die Großmutter rügt, das so etwas eben passieren kann, wenn man einem Kind ein so altes und wertvolles Erbstück schenkt, und ihr rät, sie endlich wegzuwerfen, bleibt Großmutter Josephine ruhig und denkt nach. Auf den Vorwurf ihrer Tochter „aus nichts kann man nichts machen“, hat Josephine stets eine Idee, noch etwas Neues daraus zu machen. So wird im Laufe vieler Jahre aus dem ursprünglichen blauen Seiden-Wandbehang mit silbernen Sternen und Schneeflocken und einer Bordüre aus kahlen Bäumen, der Biegung der Newa und den zwiebelförmigen Dächern von St. Petersburg eine Decke, ein Kleid, eine Weste, ein Beutel und zuletzt eine Schleife.
Mit all diesen Veränderungen begleitet das immer kleiner werdende Stoff Stella von einem kleinen Mädchen zu einem Teenager, wird dabei aber eine große Schatzkiste an Erinnerungen.
Eingebettet ist dabei auch die Familiengeschichte der Familie Menzel und Zwickel, aus denen die Eltern von Stella stammen. Sie beginnt 1919 in St. Petersburg in Russland, geht über die zwanziger Jahre des 20. Jahrhundert in Berlin nach New York und endet wieder in Berlin in der Gegenwart. Beide Familien sind Juden und ihre Flucht ins Exil markieren Meilensteine in der Familiengeschichte. Mit Humor und Ironie weiß Holly-Jane Rahlens aber durchaus auch eine völlig übertriebene und typisch amerikanische Bar-Mizwa-Feier zu präsentieren.
Fünf Mal verändert das Stück Stoff seine Form, fünf Mal schimpft Stellas Mutter Isabel mit ihrer Mutter und fragt sie, was sie sich dabei gedacht hat. Fünf Mal muss sie sich von Josephine anhören, dass sie das selbst herausfinden muss. So verändert der goldene Faden das Stück Stoff über viele Generationen hinweg in viele verschiedene Formen und verbindet dabei die beiden Familien über einen langen Zeitraum miteinander. Während Stella dieses wertvolle und nicht mit Geld zu bezahlende Geschenk intuitiv zu schätzen weiß, braucht ihre Mutter Isabel eine ganze Weile, um die Bedeutung des goldenen Fadens und die notwendigen Veränderungen zu verstehen.
Eine kluge, humorvolle und warmherzige weiterentwickelte Adaption eines jüdischen Volksliedes, die eine charmante Geschichte einer jüdisch-russisch-deutschen Familie präsentiert, die sich wunderbar zum Vorlesen eignet.
Sabine Hoß
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