David Safier
rowohlt Rotfuchs, März 2014
416 Seiten, € 16,95
ab 14 Jahre / „all age“
David Safier ist bekannt als Bestsellerautor von heiteren und scharfsinnigen Romanen wie „Plötzlich Shakespeare“, „Mieses Karma“ oder „Happy Familiy“ (alle rowohlt). Mit „28 Tage lang“ präsentiert er ein Buch, in dem er nur zum ersten Mal das Genre wechselt, aber auch eine Geschichte, die ihn schon lange beschäftigt hat.
Safier stammt aus einer Familie, die ebenfalls vom Holocaust betroffen ist: Sein Vater, Jahrgang 1915 wurde von den Nationalsozialisten verfolgt, sein Großvater ist in Buchenwald umgekommen, seine Großmutter im Ghetto von Lodz. Seine deutsche Mutter ist durch die Kriegserlebenisse in ihrer Kindheit traumatisiert.
„28 Tage lang“ erscheint in zwei Ausgaben bei Rowohlt: Einmal bei Rotfuchs als Jugendbuch und bei Kindler, einem Imprint von Rowohlt für Erwachsene. Damit macht der Verlag darauf aufmerksam, dass das Buch im besten Sinne ein sogenannter „all age“-Roman ist.
Die 16-jährige Mira ist die Erzählerin der Geschichte und durch ihre authentische Art eine sympathische Figur, die man auf Anhieb mag. Ihre Sprache ist emotional, an manchen Stellen wirkt sie allerdings unnötig aufgebläht, was schade ist. Da die Mutter seit dem Selbstmord ihres Mannes traumatisiert ist und ihre beiden Töchter nicht versorgen kann, bringt Mira sie und ihre 12 Jahre alte Schwester Hanna mit gefährlichem Schmuggel durch den harten Alltag im Warschauer Ghetto.
Hannah flüchtet in selbst erfundene Geschichten, um das grausame Leben im Ghetto irgendwie ertragen zu können. Sie erfindet die „Welt der 777 Inseln“, in die sich auch Mira gerne tragen lässt, um Trost und für eine kurze Zeit Abstand von der furchtbaren Wirklichkeit zu finden. Ihr Vater hat vor seinem Freitod den älteren Bruder Simon mit dem letztem Ersparten bei der Judenpolizei untergebracht, was für die Familie noch weitreichende Auswirkungen mit sich bringen wird. Mit der Zeit wird der perfide Druck der Deutschen gegen die Juden im Ghetto immer stärker. Letztlich geht es nur noch um das nackte Überleben, was zu hemmungslosen Verrat unter der jüdischen Bewohner führt, in der Hoffnung, nicht bei denen zu sein, die in ein KZ deportiert werden. Mira, Hanna und ihre Mutter verstecken sich in einer engen Speisekammer, in der sie trotz Platzmangel Ruth, Miras beste Freundin, aufnehmen. Als nach einer Razzia Mira ihre Familie und Ruth erschossen in ihrem Versteck auffindet, schließt sie sich der ZOB an, dem Zusammenschluss der verschiedenen jüdischen Kampforganisationen. Hier trifft sie erneut auf Amos, einem jungen Mann, der sie bereits einmal vor den SS-Schergen gerettet hat. Inmitten dem brutalem Grauen um sie herum bahnt sich eine zarte Liebe zwischen den beiden an. Das könnte man nun als konstruierten oder gar kitschigen „love interest“ empfinden, doch genau dem entgeht David Safier mit feinfühliger Tiefe und Authentizität. Genauso gekonnt verschmelzen in der fiktiven Geschichte historisch belegte Begebenheiten und Personen, wie beispielsweise der Pädagoge, Autor und Leiter des Waisenhauses Janusz Korszak, der seine 200 Schützlingen ins KZ Treblinka begleitet hat oder Adam Czerniakow, der Vorsitzender des Judenrates im Warschauer Ghetto. Oder der Ghetto-Clown Rubinstein, der mit seinem provokantem Ruf „alle gleich , alle gleich“ nicht nur sein Leben sondern auch das von anderen in Gefahr brachte, sich aber damit sein Überleben sicherte, denn sobald er Lebensmittel zugesteckt bekam, hörte er mit dem Ausruf auf.
Bei ihrem Widerstandskampf stellt sich Mira immer wieder die Fragen, was für ein Mensch sie sein will? Ein Mensch, der andere tötet, um selber zu überleben? Wie weit wird sie gehen, wenn ihr Leben in Gefahr ist? Diese Frage beeinflusst nicht nur ihr persönliches Überleben, am Ende geht sie noch einen Schritt weiter und nimmt sich eines kleinen Mädchens an, das ganz alleine ist. Mira entwickelt sich zu einer starken Persönlichkeit, die trotz ihrer Stärke mit widersprüchlichen Gefühlen kämpft. Sie liebt, hasst, zweifelt, hofft – und ist damit eine beeindruckende Identifikationsfigur. Die Flucht in die „Welt der 77 Inseln“, die Hanna weitergesponnen hat, bleibt eine Zeit lang für Mira ein wichtiger Halt und Verbindung zu ihrer getöteten Familie. Doch sie erkennt, dass sie sich nicht dauerhaft damit trösten kann und verlässt sie, in der Gewissheit, mit der Schuld leben zu können, sich aber immer an die Wahrheit zu erinnern.
Das Leben im Ghetto und der 28 Tage lang dauernde Aufstand (19. April bis 16. Mai 1943) werden ungeschönt beschrieben und manche Szenen sind von einer dramatischen und auch brutalen Intensität, die schockiert und sprachlos macht. An verschiedenen Stellen wird stimmig der Widerstand im Warschauer Ghetto mit dem Kampf der Juden gegen die Römer in der Festung Masada im Jahre 73 nach Christus verknüpft, bei dem sich die Juden selbst richteten, als ihnen klar war, dass sie die Römer nicht besiegen würden.
David Safier ist mit „28 Tage lang“ eine komplexe, fesselnde und bewegende Geschichte über den größten jüdischen Widerstand gelungen. Er bewertet die Taten und Handlungen nicht, getragen wird der Roman von der universellen Frage, vor die jeder immer wieder gestellt wird: „Was für ein Mensch willst Du sein?“
Ob der Aufstand Sinn gemacht hat oder nicht, wird nicht beantwortet, was aber letztlich unwichtig ist. Die Menschen haben mit diesem Widerstand einen Weg gefunden, sich nicht wehrlos abschlachten zu lassen – im Bewusstsein, in diesem Kampf ihr Leben zu verlieren.
Ein Buch, das auch Geschichtsmuffel bewegen und aufrütteln wird.
Das düster wirkende Cover ist rundum gelungen. In der Kindler-Version ist der Hintergrund weiß.
Sabine Hoß
Bewertung:
Ein Interview mit dem Autor findet Ihr hier: