Tino Schrödl
Ueberreuter, Juli 2014
288 Seiten, € 14,95
ab 12 Jahre
Immer wieder wundere ich mich über die Tatsache, wenn literarische Werke mit der Bezeichnung „Roadmovie“ auf den Markt gebracht werden. Schon am Namen erkennt man anhand des Wortes „movie“, dass das, was man da auf Seiten gedruckt zwischen zwei Deckeln in den Händen hält, nur schwerlich ein Film sein kann. „Roadmovies“ zeichnen sich aus durch ein besonderes Lebensgefühl, eine unruhige Wanderschaft der Protagonisten und der Suche nach Freiheit und dem richtigen Platz für sich in der großen, weiten Welt. Dabei wird das gesellschaftliche Miteinander kritisch unter die Lupe genommen. Darin jedenfalls stimmt Tino Schrödels Debütroman für Jugendliche überein.
Der fünfzehnjährige Meo kämpft damit, dass er immer wieder mit variantenreichen Veränderungen seines Namens angesprochen wird, außerdem ist er ein klassischer Nerd, der am liebsten mit Pizza und Chips gemeinsam mit seiner Mutter vor der Glotze hängt und selbstverständlich bestimmt, welche Filme angeschaut werden. Freunde sind Mangelware, denn Mio gilt bei den anderen Kindern als spießiger Langweiler. Dummerweise ist er auch noch in fast allen Fächern ein guter Schüler, außer in Zeichnen und Sport. Seine Klassenkameradin Odette und sein Kaninchen Qualle sind die einzigen Freunde, wobei Odette ziemlich dick und alles andere als hübsch ist. Hier haben sich also zwei klassische Außenseiter zu einem einsam-dynamischen Duo zusammen gefunden. Bis jetzt hat der leidenschaftliche Sofasitzer geruhsam und überaus verwöhnt mit seiner Mutter zusammen gelebt, während sein Vater als Staubsaugervertreter um den Globus reisend das Geld verdient. Das geruhsame Leben wird aber auf den Kopf gestellt, als sein Vater der Familie eröffnet, dass er demnächst nach Australien geht – und zwar für drei Jahre. Und weil das eine recht lange Zeit ist möchte er, dass seine Familie mitkommt.
Weder seine Frau noch Mio ist von diesem Vorhaben angetan und es werden alle vernünftigen und unvernünftigen Gründe dagegen gefunden. Der Vater findet einen Kompromiss, indem der nächste Familienurlaub in Australien stattfindet, um sich Land und Leute eingehend anzuschauen. Odette ist ebenfalls entsetzt über die Nachricht, dass Mio fortgeht. Ihr Vorschlag, Mio auf der Reise zu begleiten und auf ihn aufzupassen nimmt dieser zunächst nicht ernst. Doch dann freundet er sich damit an, so braucht er nicht alleine in diesem Land zu leiden.
Also fliegen Odette, Mio und seine Eltern zum Antrittsbesuch nach Australien. Allerdings hat Mios Vater nicht damit gerechnet, dass er nur auf pure Ablehnung und Desinteresse bei seinem Sohn stößt, egal war er vorschlägt und sie erleben. Immer wieder gibt es dabei peinliche Zwischenfälle bei dem Versuch, Land und Leute näher zu kommen. Als die Drei auf Wunsch von Mio den Kakadu-Nationalpark besuchen, kommt es erneut zu einem heftigen Zusammenprall zwischen den Generationen. Mio beschließt, den Ausflug vorzeitig abzubrechen und alleine, das heißt, begleitet von Odette, zum Tourbus zurückzukehren. Es kommt, was kommen muss, die beiden verirren sich hoffnungslos im Nationalpark und Mio beschließt, es seinen Eltern zu zeigen und sich mit Odette nach Melbourne zu schlagen, dem Ausgangspunkt ihrer Reise. Dieses Vorhaben wird zu einem herrlich schräg-verrückten Abenteuer, begleitet von netten, freundlichen Australiern, wie dem Jungen Pete und seiner Familie, die den zwei Wanderer ohne viel Fragerei Essen und Quartier anbieten. Aber es gibt auch skurrile Begleiter auf diesem Trip, wie Jesus, der glaubt, mehr als nur mit seinem Namen dem Schöpfer nahe zu sein oder die drei deutschen Studenten, die Mio und Odette erzählen, sie seien auf der Flucht, weil sie in Deutschland eine Bank überfallen haben. Die letzte Station ist eine Rinderfarm mit einer bunten Patchworkfamilie. Hier verliebt sich Mio zum ersten Mal in Maddy und muss mit den schmerzhaften Auswirkungen einer ersten Liebe kämpfen. Odette lernt ganz neue Talente wie Lassoschwingen kennen und freundet sich zum ersten Mal mit jemand anderem außer Mio an.
Natürlich endet die Reise nicht auf der Rinderfarm. Vorher geht es zu einem Rodeo, bei dem Maddy beim Tonnenreiten gewinnen will und Mio den Jungen William bzw. Woorin kennenlernt, einen Aborigin, den Mio noch in einem Kampf gegen einen ausgewachsenen Mann verteidigen wird. Da jede Wanderschaft irgendwann auch ein Ziel hat, haben in dieser Geschichte am Ende Mios Eltern auf ihrer Verfolgungsjagd ihre Ausreißer gefunden. Was Mio und Odette aber auf ihrer verrückten Reise erlebt und welche Werte, Eigenschaften sie neu entdeckt haben, hätten sie sonst nie so kennengelernt. Beide Protagonisten entwickeln sich während ihres Abenteuers im Outback zusehends und gewinnen Selbstvertrauen. Dafür alleine hat sich manch Strapaze und Not gelohnt.
Tino Schrödel schreibt in frechem, manchmal flapsigen Stil und entwirft mit Mio und Odette zwei schräg-chaotischen Außenseiter-Protagonisten, die mit ihrem ganz eigenen Charme bezaubern. Mit Tempo geht es durch die wunderbare Landschaft Australiens und seiner faszinierenden Natur, die in bilderreichen Sprache vor dem lesenden Auge zieht. Mio mag trotz seiner fünfzehn Jahre an einigen Stellen naiver erscheinen, der in diesen Situationen dann berechtigter Weise damit kämpft, deutlich jünger von anderen eingeschätzt zu werden. Dass am Ende seine Eltern ein wenig wie aus dem Boden gestampft ihre Ausreißer finden, auch darüber mag man hinwegsehen, denn das Buch will in erster Linie leicht, humorvoll mit einer temporeichen, spannenden Geschichte unterhalten – und das gelingt.
Besonders Jungs, die ansonsten als Lesemuffel gelten, könnte man mit diesem verrückten Roadbook zwischen Buch und Deckel einfangen. 😉
Dass Cover ist ein „Eyecatcher“ und wenn nicht Roadmovie drauf stehen würde, wäre es rundum perfekt.
Sabine Hoß
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