Kindheit – Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete

Kindheit, Peggy Parnass KLEIN

Peggy Parnass

mit Farbholzschnitten von Tita do Rêgo Silva

Fischer KJB, 25.09.2014

80 Seiten, € 14,99

ab 12 Jahre

 

 

„Kindheit – Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete“  ist ein ganz besonderes Buch. Entstanden ist es aus einer tiefen, (auch) künstlerischen Freundschaft zwischen der Schauspielerin, Kolumnistin, Gerichtsreporterin und Autorin Peggy Parnass und der Künstlerin Tita do Rêgo Silva. Die aus Brasilien stammende und seit 1988 in Hamburg lebende Tito und Peggy kannten sich aus der Nachbarschaft und von Treffen eines gemeinsamen Freundes. Eine tiefe Beziehung wurde aber erst daraus, als Peggy einen schweren Unfall hatte und mit schlimmen Verletzungen sehr lange im Krankenhaus bleiben musste. Tita besuchte sie regelmäßig und damit wurde der Grundstein für eine innige Lebensfreundschaft zwischen zwei außergewöhnlichen Frauen aus unterschiedlichen Generationen gelegt.

Gegenseitige Achtung und Wertschätzung gegenüber der verschiedenen künstlerischen Arbeiten der Beiden ließ Peggy Parnass aus ihrer Kindheit während des Holocaust erzählen, die Tita do Rêgo Silva mit ihren farbenprächtigen Holzschnitten illustrierte.

Peggy Parnass wurde in Hamburg-Eimsbüttel geboren und stammt aus einer jüdischen Familie. Ihr Vater war Pole, ihre Mutter zur Hälfte Portugiesin, was sie zu „Staatenlose“ machte. Die ersten Jahre ihrer Kindheit waren unbeschwert, bisweilen aber auch wild und chaotisch. Ihr Vater war ein Zocker, Frauenheld und selten zuhause. Trotzdem bleiben liebevolle Erinnerungen an ihn zurück. Für Peggy und ihren jüngeren Bruder war ihre liebevolle und hart arbeitende Mutter der Fels in der Brandung. Bald werden sie mit den Auswirkungen des Nazi-Regimes konfrontiert: Eine Lehrerin verschwindet von heute auf morgen, ein Besuch im Freibad wird zum lebensgefährlichen Ausflug, den sie vor lauter Angst nicht genießen können, die Milchfrau ohrfeigt ihre Mutter, weil sie für ihre Kinder Essen holen will. Als die Mutter Peggy und ihren kleinen Bruder in ihrer Verzweiflung 1939 in einen Zug Richtung Schweden setzt, wird es kein Wiedersehen geben. In Schweden werden die beiden Geschwister getrennt, Peggy wandert zwischen zwölf verschiedenen Pflegefamilien und kann den Kontakt zu ihrem kleinen Bruder nur unter großen Mühen halten. Sie verlieren im Holocaust neben ihren Eltern über 100 Familienmitglieder, nahe und entfernte Verwandte.

Es sind furchtbare Kindheitserinnerungen, die Peggy Parnass mit gnadenloser Offenheit in knappen, klaren und doch sehr berührenden Worten erzählt und wie Puzzlestücke zusammenfügt. Trotz aller Grausamkeiten, die sie erlebt hat und beschreibt, hat sie sich zu einer lebensbejahenden, starken und außergewöhnlichen Frau entwickelt. Die gelungene Metamorphose der grausamen Kindheitserlebnisse zu einem Buch mit positiver Ausstrahlung verdankt das Buch aber nicht zuletzt den einzigartigen, strahlenden Bildern der Künstlerin Tita do Rêgo Silva in der uralten Technik des Holzschnitts. Die Verbindung der  alten, künstlerischen Technik und die Kindheitserzählungen machen dieses Buch zu einer außergewöhnlichen Mahnung gegen das Vergessen.

Noch ein paar Worte zur Entstehung dieses Kunst-Buches und der alten Kunstform des Holzschnitts:

Da die Holzschnitttechnik recht aufwendig ist und ein Buch daher von Tita do Rêgo Silva nur in sehr kleinen Auflagen von Hand gedruckt wird, aber Peggys Geschichte möglichst viele Leser erreichen sollte, wurde 2012 das Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek und ein Hamburger Kunstverlag mit ins Boot geholt. Im Museum konnte mit historischen Druckmaschinen eine größere Auflage hergestellt werden und „Kindheit“ wurde schnell durch die Presse über Hamburg hinaus bekannt. 2013 wurde das Buch von der Stiftung Buchkunst als eines der „schönsten Bücher“ ausgezeichnet.  Doch leider war die Originalausgabe in edlem gelben Leinen schnell vergriffen. Moderne Drucktechniken und die besondere Reihe „Die Bücher mit dem blauen Band“  des Fischer Verlages (die früher auch zum Teil in edlem blauen Leinen gebunden war) machen jedoch jetzt eine große Auflage einer immer noch beeindruckenden Neuausgabe möglich.

Sabine Hoß

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