Die kleine Geschichte einer großen Liebe

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Hubertus Meyer-Burckhardt

Bastei Lübbe, Oktober 2014

220 Seiten, € 18,00

ab Mitte 40 😉

 

 

 

 

Diese Rezension und das nachfolgende Autoreninterview fallen definitiv aus dem Rahmen der üblich empfohlenen Kinder- und Jugendliteratur. Aber hin und wieder nehme ich mir  die Freiheit, besondere Lebenssituationen, die besondere Bücher bedingen, zu präsentieren.

Ein Beispiel von vielen: Sie stehen in der Mitte ihres Lebens und nach einem Vierteljahrhundert gelebter, überzeugter Ehe und der damit verbundenen Lebensperspektive müssen sie sich davon verabschieden. Ein schwerer und trauriger Abschied, dem ein langjähriger, leider verlorener Kampf (nicht nur der Kinder wegen) mit Hoffen, Verzeihen und Abwarten voran gegangen ist. Dann fällt ihnen ein kleines Buch in die Hände, in dem Paare davon erzählen, wie sie (erst) mit Mitte Fünfzig ihre große Liebe gefunden  haben. Jetzt haben sie zwei Möglichkeiten: Sie legen das Buch zaudernd zur Seite, weil man das Thema Liebe, erst recht die Große, in den hintersten Winkel geschoben hat. Oder sie lassen sich auf diese Geschichte ein und tauchen in eine bunte Mischung von Lebens- und Liebesbeziehungen ein, die Lust darauf machen, das Leben einfach einmal loszulassen und zu schauen, was und wer da in den neuen Lebensabschnitt tritt.

Susan, 51, ist freischaffende Journalistin und Sachbuchautorin und erhält den Auftrag für eine Frauenzeitschrift Leserinnen/Paare zu interviewen, die ihre große Liebe erst um die fünfzig getroffen haben. Da Susan gerade wieder einmal feststellt, dass leidenschaftliche, tröstende Einkäufe von Rolex-Uhren und teurer Kleidung in der Regel nicht zu einem Polster auf dem Bankkonto führen und das Honorar entsprechend reizt, nimmt sie den Auftrag an. Obwohl sie eigentlich mit der Liebe und erst recht mit der großen, nach einigen, auch langjährigen Beziehungen, mittlerweile abgeschlossen hat.

Die Auftragsarbeit führt Susan von ihrer Heimat Zürich nach Hamburg. Dort angekommen sieht sie auf dem Weg in ihr Hotel das italienische Restaurant, „La Bruschetta“, das einladend auf sie wirkt. Mit Gepäck und Hunger lässt sie sich dort nieder und freut sich darauf, in Ruhe erst einmal anzukommen. Diese Ruhe wird jedoch schnell durch die Ansprache eines gutaussehenden Mannes gestört, der nicht nur von ihren wunderschönen Augen fasziniert ist. Obwohl Susan sich zunächst unwirsch gegen diesen durchaus charmanten Eindringling wehrt, der sich als Simon Kanstatt vorstellt, kommen die beiden ins Gespräch. Susan erzählt von ihrem Auftrag und Simon outet sich ebenfalls als Schriftsteller, der mit Mitte fünfzig versucht endlich zu verstehen, wie Frauen denken. So bietet er seine Unterstützung bei ihrem Interview-Projekt an, das Susan nach einiger Verwirrung annimmt. Gemeinsam suchen sie drei Paare aus, ein viertes ist von der Redaktion bereits im Vorfeld bestimmt worden. Die beiden lernen Nora, 50 und Marc 60 kennen, das Frauenpaar Regina und Carmen sowie Fabienne, 75 und ehemalige Journalistin und Sebastian, 70 ehemaliger Orchestermusiker, die alle ihre große Liebe mitten im Leben, zum Teil in Familie eingebunden, jenseits der 40 gefunden haben. Der Ägypter Abdul und Fatimah fallen mit ihrer Geschichte ein wenig aus dem Rahmen, denn die beiden wurden sich schon als Kinder von ihren Eltern versprochen und verheiratet. Auch wenn Abdul der Meinung ist, „die Ehe sei ein Vertrag, eine belastbare Verabredung“, ist es eine lange und scheinbar auch von beiden Seiten aus glückliche Beziehung geworden.

Mit diesen Begegnungen kommen sich Susan und Simon immer näher und Simon gesteht ihr, sich in sie verliebt zu haben. Susan macht jedoch eindeutig klar, dass sie ihre Freiheit nicht für eine weitere unglücklich endende Liebe eintauschen will. Als sie wieder nach Zürich abreist, begleitet Simon sie im Taxi zum Flughafen. Im Kofferraum befindet sich nicht nur ihr Gepäck sondern auch ein Rucksack von Simon. Während Susan sich per Flugzeug auf dem Weg nach Zürich macht, will Simon die Strecke zu Fuß zurücklegen, für die er ungefähr vier Wochen eingeplant hat. In dieser Zeit soll sich Susan darüber im Klaren werden, unbeeinflusst von Überschwang an Gefühlen direkter Begegnungen, ob sie für eine Beziehung mit Simon sich öffnen will. Einzige Verbindung werden in dieser Zeit Postkarten sein, die Simon von verschiedenen Punkten aus an sie verschicken will. Wenn er Zürich erreicht hat, soll ein Italiener ihrer Wahl der Treffpunkt sein. Wenn sie bei ihrem Nein bleibt, trinken sie gemeinsam einen Espresso zusammen. Aber wenn sie sich anders entscheidet, soll sie einen Vecchia dazu bestellen.

Wie eine Liebesgeschichte nun mal ist, hat auch diese sentimentale Stellen wobei kluge, humorvolle und philosophische Gedanken und Erlebnisse (die man jenseits der vierzig durchaus selber erfahren hat), erfrischend überwiegen.

Unterhaltsam, prosaisch und nachdenklich machend bettet Meyer-Burckhardt die sich entwickelnde Beziehung zwischen Susan und Simon in den drei international besetzten interessanten Paar-Porträts ein, die ihre Liebe erst in der sogenannten Lebensmitte gefunden haben. Diese Porträts sind vielschichtig und zeigen, wie schwer und leicht es ist, der wirklich großen Liebe zu begegnen, wenn man beispielsweise in einer langjährigen Ehe lebt, in der man den beruflichen Werdegang gefestigt hat, Kinder gezeugt und eine Familie, mit all ihren kleinen und großen Problemen, gegründet hat. Die Beispiele machen aber auch Mut, den Schritt zu einem Neuanfang zu wagen, auch wenn der Kopf vielleicht Nein sagt, der Bauch aber JA schreit.

Die Geschichte hebt nicht den moralischen Finger und weiß, wie man es in der zweiten Lebenshälfte „mit der Liebe“ besser macht und ist auch kein Handbuch, das zeigt, wie man die `Große´ dann doch noch findet. Es sind vielmehr lebenserfahrene Beispiele, die spiegeln, dass in Sachen Liebe alles möglich ist, solange man nicht darauf wartet oder hofft.

Einen kleinen Kritik gibt es dennoch: Natürlich kann man sich herablassend über die sogenannte Chicken-Literatur (Frauenliteratur) äußern, die nicht viel mehr will, als mit leicht überzogenen Geschichten und Figuren des Lebens zu unterhalten. Natürlich sind diese Bücher „mit Plattitüden über den großen Herzschmerz und das Verliebtsein besetzt“ und Verlassenwerden. Das ist die Grundlage dieses Genres und es sollte kein Kritikpunkt sein, man muss sie ja nicht lesen, wenn man „Frauenliteratur“ nicht mag. Genau diese  Einstellung legt der Autor seiner Protagonistin Susan in einem Selbstgespräch in den Mund. Das wäre nicht verwerflich, wäre es allgemein gehalten. Wenn man/n sich aber eine bestimmte Autorin (Ildikó von Kürthy) mit einem bestimmten Titel herauspickt, ist man beim Lesen konsterniert über diese Gedankenlosigkeit, die etwas überheblich wirkt. Denn auch diese kleine Liebesgeschichte will schließlich im besten Sinne unterhalten, was ihr mit Charme gelingt.

Sabine Hoß

Bewertung:

Ein Interview mit dem Autor findet Ihr hier:

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