Susan Kreller
Carlsen, September 2014
208 Seiten, € 14,90
ab 12 Jahre
Bereits mit ihrem Debütroman „Elefanten sieht man nicht“ (Carlsen, 2012) Susan Kreller gezeigt, dass sie eine ausdrucksstarke Erzählerin ist. Auf Anhieb landete das Buch auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 201, wurde mit dem Kranichsteiner Jugendliteraturstipendium ausgezeichnet und stand auf der IBBY Honour List 2014. Ein solcher Debüterfolg kann Fluch oder Segen für den Autor oder die Autorin sein, denn der Druck ist hoch, den ersten großen Erfolg gleichermaßen zu wiederholen, was in der Regel nur schwer bis gar nicht zu realisieren ist.
Geschickt hat Susan Kreller diese Schwierigkeit umgangen, indem sie zunächst einen wunderschönen Gedichtband „Der beste Tag aller Zeiten“ (Carlsen) herausgegeben hat, der weitgereiste Gedichte aus aller Welt mit wunderschönen Illustrationen (Sabine Wilharm) präsentiert. Mit ihrem neuen Roman zeigt sie ein weiteres Mal mit Leichtigkeit Kraft, Sensibilität und Raffinesse in ihrer Fabulierkunst.
Adrian ist für seine 14 Jahre und mit seinen über 1,90 Meter ungewöhnlich groß und wird von Stella, die direkt neben ihm wohnt, auch liebevoll Einsneunzig genannt. Stella ist eine lebendige, lebensfrohe und vor Ideen sprudelnde junge Frau und das Gegenteil von Adrian.Die beiden kennen sich seit ihrer Kindheit und Stellas Großmutter, die sich selbst Miss Elderly nennt, hat den beiden viele gemeinsame Stunden auf der Terrassen-Hollywoodschaukel vorgelesen. Mit der Zeit bemerkt Adrian, dass sich für ihn die Kinderfreundschaft und ihre Beziehung verändert, er hat sich in Stella verliebt. Als ihm Nebenhaus, dem sie den mysteriösen Namen „Dreitotenhaus“ gegeben haben, über Nacht eine merkwürdige Familie einzieht, vermuten die beiden, dass die neuen Bewohner in dem alten, heruntergekommenen Haus eine Leiche verstecken wollen. Neugierig statten sie den neuen Nachbarn einen Besuch ab und lernen eine Familie kennen, die aus Georgien flüchten mussten. Stella freundet sich mit Dato, einem Sohn der Familie an und für beide entwickelt sich daraus bald mehr. Für Adrian bricht eine Welt zusammen. Er kommt gegen seinen Konkurrenten nicht an und das wirft ihn aus der Bahn.Er kapselt sich von Stella ab, seine Eltern kommen nicht mehr an ihn heran und auch Miss Elderly stößt auch an ihre Grenzen, doch sie gibt nicht auf. Er wird laut, aufbrausend, cholerisch und gerät in eine große Krise, die fast sein Leben zerstört.
Susan Kreller ist eine tiefgründige und gefühlsintensive Geschichte über Verunsicherung, Verletzungen und Angst auf der Achterbahn zum Erwachsenwerden gelungen. Ihre Sprache ist ausgefeilt, poetisch stark und gleichzeitig feinfühlig, die mit einer gewandten Originalität in den Bann zieht.
Ihr gelingt es wunderbar, Adrians Verzweiflung, seine Loslösung von allem zu beschreiben. Seine Körpergröße hat er bis jetzt irgendwie akzeptieren können, jetzt verzweifelt er daran und sieht diesen Makel als Grund für Stellas Abwenden.
Alle Charaktere werden sorgfältig angelegt und Miss Elderly ist eine ganz besondere Person mit Ecken und Kanten, die sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht und man gerade wegen ihrer Klarheit, Offenheit und Warmherzigkeit ins selbige schließt.
Auch wenn Adrian und Stella mit dem gruselig angelegten „Dreitotenhaus“ glauben, dass die neue Nachbarn dort eine Leiche versteckt haben könnten, schafft die Autorin mit einer glaubwürdigen Wendung im Laufe der Geschichte eine ganz andere und vielschichtigere Entwicklung. Sie trägt mit dazu bei, dass Adrian eine neue Sichtweise mit neuen Mut bekommt und sich selber annehmen kann.
Susan Kreller hat mit diesem Adoleszenz-Roman, in dem sie geschickt passende Märchenelemente von Hans Christian Andersen einbindet, erneut ihr facettenreiches Talent bewiesen. Es ist weit mehr als eine Freundschafts- und Liebesgeschichte, obwohl beides Kernthema ist, der jeden Kitsch fehlt, dafür inhaltlich und literarisch stark ist.
Sabine Hoß
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