Anna Kuschnarowa
Beltz & Gelberg, Mai 2015
461 Seiten, € 17,95
ab 14 Jahren
Im Jahr 1700 wird Anne als uneheliches Kind eines Juristen und eines Dienstmädchens geboren. Als Junge verkleidet genießt sie eine schöne Kindheit. Doch als ihre Eltern mit ihr nach Carolina auswandern, soll sie wieder als Mädchen den Rest ihres Lebens verbringen und sogar einen Plantagenbesitzer heiraten. Aber Anne denkt gar nicht daran den Konventionen ihrer Zeit zu folgen. Als sie sich in den jungen John Bonny verliebt, brennt sie mit ihm durch und macht sich auf den Weiten des Meeres auf der Suche nach Libertalia, einem Ort, wo alle Menschen gleichgestellt sind.
Die Geschichte hat mich schlichtweg rundum und völlig begeistert! Anne Cormac (die erst durch ihre Heirat mit John ihren legendären Nachnamen bekam) ist eine mutige, beeindruckende Persönlichkeit, die einem auch nach dem Lesen noch lange im Gedächtnis bleibt. Mit „Das Herz von Libertalia“ erzählt Anna Kuschnarowa auf ihre ganz eigene Art die Lebensgeschichte der Anne Bonny bis zu ihrer vermeintlichen Hinrichtung.
Dabei beginnt sie am Anfang kurz mit der Endsituation von Anne Bonny, die in Jamaika im Kerker hockt und auf ihre Hinrichtung wartet und auf die verschiedenen Stationen ihres Lebens zurückblickt. Man erlebt wie sich ihre Eltern ineinander verlieben, wie ihre Kindheit verläuft (wobei ihr Uncle Grandpa Jack eine wichtige Person in ihrem Leben ist, der mit seinen Seemannsgeschichten Anne zum ersten Mal mit dem Leben auf dem Meer vertraut macht) und wie sie dabei ,als Junge verkleidet, all die Freiheiten dieser Tarnung bemerkt. Doch als ihre Eltern mit ihr nach Carolina auswandern sind all die Freiheiten, die sie mit der Identität eines Jungen besaß, erst einmal für Anne verschwunden. Denn ihre Eltern wollen, gemäß dem Motto: „Neuer Ort, neues Leben“, sie hier als richtiges Mädchen in die Gesellschaft einführen. Für Anne natürlich der reinste Horror, vor allem da sie in ihren Augen in einem Kleid aussieht wie eine „Buttercremetorte“. Einziger Lichtblick für sie sind die Ausritte mit ihrem indianischen Freund Charlie, der schon sehr früh das „wilde Blut“ in Anne bemerkt und sich auch als große Hilfe erweist, als Anne mit John nach Nassau flüchten muss.
Ebenso wie Anne ist auch der Leser enttäuscht von John, der sich als richtiger Taugenichts und Feigling rausstellt. Da Anne und er schon allein deswegen nicht auf gleicher Augenhöhe sind, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich schon kurze Zeit nach ihrer Hochzeit ihre Wege trennen. Die eigentliche Geschichte geht erst so richtig in Nassau los, als Anne (wieder als Junge verkleidet) auf der Suche nach Arbeit und einem Leben auf dem Meer auf Captain Vane trifft, auf dessen Schiff sie auch anheuert. Dabei verliebt sie sich auch in Calico Jack Rackham, mit dem sie auf Vanes Schiff wilde Kaperfahrten erlebt. Dabei müssen die beiden immer aufpassen, dass Annes Identität als Frau nicht auffliegt, da eine Frau auf dem Schiff Unglück brachte. Doch mit viel Geschick und Annes Autorität gelingt es den beiden sogar Vane als Kapitän abzulösen und selbst das Geschick über die Mannschaft zu übernehmen. Auch dass Anne eine Frau ist, wird nach einigem Murren von den Männern hingenommen, da sie sich als Führungsperson bewiesen hat. Wenn auch erst spät, trifft man auch die zweite legendäre Piratenbraut Mary Read, mit der Anne sogar kurzzeitig eine Beziehung hat, nachdem die mit Jack in die Brüche gegangen ist.
Mary Read ist hier das zweite Beispiel einer Frau, die sich als Mann verkleidet hat, um in einer Männerdominierten Welt zurechtzukommen. Jedoch macht sie das aus einen völlig anderen Grund als Anne. Anders als Anne, die immer lieber ein Junge sein wollte, ist Marys Grund, dass sie als Mann verkleidet mehr Freiheiten und Chancen auf Arbeit hat. Zudem war sie schon einmal bereit das Leben als Mann aufzugeben, um ein glückliches Leben mit ihrem Ehemann führen zu können. Anne bemerkt schon gleich zu Beginn ihrer Beziehung mit Mary, dass sie aus genau diesem Grund nicht lange halten wird. Dennoch schafft es Anne eine freundschaftliche Beziehung zu Mary zu halten, was auch sehr wichtig ist, da die beiden, beim Kapern von Schiffen ein ziemlich gutes Team sind.
Doch auch wenn Anne und Mary zweifelsohne die berühmtesten Piratinnen ihrer Zeit sind, sind auch sie nicht vor dem Wandel der Zeit gefeit und müssen erkennen, dass die Zeit der Piraterie vorbei ist. Schlussendlich befindet man sich dann wieder genau da, wo man sich am Anfang befunden hat, nämlich im Kerker auf Jamaika.
Da die gesamte Erzählung in der Ich-Form, der Sicht von Anne geschrieben wurde, hat der Leser einen direkten, persönlichen Bezug zu der Figur und kann sich großartig in die Geschichte reindenken. Die Suche nach Libertalia, einem Ort, wo alle gleichgestellt sind und die Konventionen ihrer Zeit nicht mehr gelten, zieht sich unterschwellig wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte. Ob Anne diesen Ort jedoch tatsächlich findet, soll an dieser Stelle offen bleiben.
Dieser unglaublich spannend geschriebener Roman mit ungewöhnlichem Thema ist für alle ein kurzweiliger Schmöker, die sich für die Geschichte der Piraterie und für die von starken Frauen interessieren.
Johanna, 18 Jahre