Henrietta, mein Geheimnis

14912-6_Henrietta_Geheimnis KLEIN

Maja Hjertzell

Aus dem Schwedischen von Stephanie Elisabeth Baur

Kosmos, März 2016

208 Seiten, € 12,99

ab 12 Jahren

 

 

Möwe ist ein ruhiger, introvertierter Teenager, der mit den Ängsten, Selbstzweifeln und Unsicherheiten der Jugend kämpft und eingebettet in einem konservativen Elternhaus lebt, in dem die Mutter mit ihrer, vom eigenen Leben enttäuschten Ausstrahlung und Herrschsucht dominiert, der Vater als strenger Part nur schwer einen Ausgleich schafft. Ville, der Bruder, ist noch zu klein, um das alles ähnlich zu erfassen. Seit langer Zeit kämpft Möwe mit der Tatsache, in Henrietta verliebt zu sein und sich nicht traut, ihr das zu zeigen. „Wie soll ich ihr meine Liebe zeigen, was wird sie sagen, was sagen die Eltern, was mache ich, wenn sie mich doof findet…“ Diese und noch viele andere Fragen kennen wir alle, nicht nur Teenager, sondern all diejenigen, die in jemanden verliebt sind und sich nicht trauen, aus welchen Gründen auch immer, diese Gefühle demjenigen offen zu zeigen.

Rebekka, die beste Freundin von Möwe, weiß alles um diese Liebe und kennt die Not. Sie macht Möwe immer wieder Mut, doch endlich auf Henrietta zuzugehen, da sie das Gefühl hat, dass auch Henrietta Möwe nicht egal ist. Doch Möwe ist noch zu ängstlich und verschlossen, diesen Schritt zu wagen. Nachdem einige zufällige Begegnungen mit Henrietta für Möwes Empfinden katastrophal und völlig peinlich gelaufen sind, macht das nicht wirklich mutiger. Hier zeigt die Autorin ein humorvolles und sensibles Gespür für die unsichere, unglücklich-verliebte Gefühlswelt von Möwe. Beispielhaft die herrliche Situation im Supermarkt; wer kennt sie nicht, die Situation, zufällig und endlich der heimlichen Liebe zu begegnen und dann verbal völlig sinnloses von sich zu geben und sich hinterher am liebsten den bildlichen Balken vor den Kopf zu hauen.

Möwes Tante Elise, die als Single mehr oder weniger glücklich und zufrieden lebt, ist die Person, die am meisten Verständnis zeigt und sich Zeit nimmt, zuzuhören und auch ein wichtiges Stück Freiraum gibt. Freiraum, den Möwe sich hart bei den Eltern erkämpfen muss und eigentlich für Teenager selbstverständlich sein sollte. Ebenso wie einfach nur einmal „zuhören“, ohne mit moralischen Statements zu antworten. Es dauert noch ein paar unglückliche Aufeinandertreffen von Henrietta und Möwe, bis sich Möwe endlich ein Herz fasst, über den Schatten springt und Henrietta zur Schulabschlussfeier eine ganz persönliche Einladung schickt. Es wird eine ganz besondere Party auf dem Berg, denn als Möwe schon nicht mehr daran glaubt, dass Henrietta kommt, wird alles ganz anders.

Maja Hjertzell gelingt es raffiniert, Möwe durch die Handlung zu lavieren, ohne erkennbar zu machen, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt, was nicht unerheblich ist und zu einem überraschenden Ende führt. Vielleicht liegt es am erwachsenen, aufmerksamen lesenden Betrachter, dass es durchaus hin und wieder Stellen gibt, die auf die Lösung hinweisen, denn Möwes Furcht vor dem Liebesbekenntnis ist schon eine ganz besondere – vielleicht ist es aber auch so gewollt. Letztlich stört es nicht, denn man fühlt mit dem Selbstzweifel, den Ängsten und Fragen von Möwe, die man unabhängig vom Geschlecht kennt, wenn man unglücklich verliebt ist bzw. seine Liebe nicht offen zeigt.  Der Autorin wie der Übersetzerin Stephanie Elisabeth Baur ist es überzeugend gelungen, Möwe fast bis zum Schluss geschlechtslos zu halten, was  auch der Focus der Geschichte und selten in der Jugendliteratur zu lesen ist. Umso amüsanter und origineller verfolgt man diesen Stil als aufmerksamer Leser. Die Handlung konzentriert sich im Wesentlichen auf Möwes inneren Kampf mit ihren Gefühlen. Das macht leider den gesamten Plotaufbau etwas eindimensional zäh und voraussehbar, was schade ist. Als Nebenfigur tritt die beste Freundin Rebekka und Möwes Tante Elise hervor, die Eltern bleiben eher unsympathisch und konservativ dominant  im Hintergrund explanation. Für Henrietta entwickelt sich Möwe (im Laufe der Geschichte) von „Möwe über Spatz zum Adler“, wobei der Vergleich  unglücklich ist, denn ein Spatz in die Mitte gesetzt passt nicht zu einer logischen Entwicklung. „Spatz, Möwe, Adler“ wäre hingegen richtig und passend.

Fazit ist, dass es völlig egal ist, wen man liebt, die Hauptsache ist, dass es eine ehrliche Liebe ist und man den Mut hat, dem anderen sich zu öffnen. Dabei ist es gleichgültig, was die anderen, die Eltern, Familie oder Freunde, davon halten. Denn wichtig ist, dass man selber glücklich und zufrieden mit seinem Leben – und seiner Liebe ist. Dann sind es meistens die Menschen auch, die einem wichtig sind, denn die sollten einem im besten Falle genau diesen Zustand wünschen.

Ein leicht zu lesendes Buch mit leider kleinen Schwächen im Handlungsaufbau und im Detail und dennoch empfehlenswert für alle, die Angst haben, ihre Liebe, Verliebtheit offen dem anderen oder der anderen zu zeigen, auch dann, wenn es sich um gleichgeschlechtliche Liebe handelt.

Ein wunderschönes Cover, dass dem aufmerksamen Betrachter schon einen Wink gibt. ?

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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