Wie ein Himmel voller Seehunde

Sara Lövestam

Aus dem Schwedischen von Stephanie Elisabeth Baur

Rowohlt rotfuchs TB, Juni 2017

256 Seiten, € 12,99

ab 14 Jahren

 

 

Anna und Loppan, genannt Lollo, machen auf einer Schäreninsel in Schweden Urlaub. Während Anna in einer herunter gekommenen Hütte ohne Strom und mit undichtem Dach mit ihrem Vater die Zeit dort verbringt, ist Lollo mit ihren reichen Eltern in einer teuren Villa mit Luxusboot. Unterschiedlicher können die beiden nicht aufwachsen. Anna, die seit dem Tod ihrer Mutter mit ihrem Bandscheibengeschädigten und dem Alkohol zugewandten Vater in dem immer mehr verfallenden Ferienhaus jedes Jahr ihre Ferien verbringt, während ihr älterer Bruder nicht mehr mitfährt. Lollo, die dieses Jahr unfreiwillig mit ihren Eltern auf die Schäreninsel muss, da ihre Eltern sie mit 15 Jahren zu jung finden, um mit ihren Freundinnen in Urlaub zu fahren. Entsprechend gefrustet und genervt hängt sie auf der Insel rum, umrahmt vom schicken, teuren chabby-look der Villa mit Hollywood-Schaukel und ihrer überkandidelten  Mutter, die ständig an ihr herumekelt. Für die beiden ist die Hütte das „Paradies“, während nebenan in der „Hölle“, einer kleinen Senke, aller möglicher Schrott von den beiden gesammelt wird. Mit einem kleinen, nicht immer dichten Boot fahren Anna und ihr Vater aufs Meer, um mit ausgelegten Netzen Fische zu fangen.

Auf der Fähre zu ihrem Urlaubsdomizil begegnen sich die beiden zum ersten Mal und nehmen sich gegenseitig wahr. Als sie wenig später am Bootssteg mit ihren Eltern erneut aufeinander treffen, ist die Anziehungskraft, die vom anderen ausgeht, stärker als die offensichtlichen sozialen Unterschiede. Als Anna eines Abends zum Bootssteg geht, um alleine die Netze auf dem Meer auszuwerfen, steht auch Lollo plötzlich am Steg. Anna lädt sie zu der Bootstour ein, denn zu zweit ist das Netze auswerfen auch viel einfacher. Die beiden reden nicht viel während dieser Tour, dennoch knistert es zwischen ihnen. Während Anna auf Lollos Frage, ob sie einen Freund hat, offen zugibt, dass sie auf Mädchen steht, ist Lollo über ihre Gefühle zu ihr zunächst verwirrt. Zwar hat sie schon mit einigen Jungs geknutscht, aber solche Gefühle, wie sie jetzt für Anna empfindet, hat sie bisher nicht gespürt. Die beiden schreiben sich kurze Briefe und treffen sich jetzt häufiger, wenn auch heimlich, denn Lollo hat Angst. Angst vor ihren eigenen Gefühlen und davor, was ihre Familie sagen wird, wenn sie sich ihrer Neigung bekennt. Ihre gegenseitige Zuneigung wächst mit jedem Beisammensein, doch hat ihre Liebe eine Chance, wenn eine Angst davor hat?

Sara Lövestam erzählt diese zarte, warmherzige Sommergeschichte in abwechselnden personalen Perspektiven der beiden unterschiedlichen Mädchen. Das ist geschickt gewählt, denn mit den abwechselnden Sichtweisen nähern sich die beiden Mädchen in jedem Kapitel ein Stück mehr an. In einer klaren und dennoch sehr atmosphärischen Sprache beschreibt sie mit ironischem Unterton die unterschiedlichen familiären Rahmen und Hintergründe, ohne dabei flach oder sich Klischees zu bedienen. Die Autorin verbindet hervorragend die einerseits manchmal burschikosen Äußerungen von Anna mit poetischen Beschreibungen von Natur und Landschaft und hält dabei sehr geschickt den Spannungsbogen. Mit sensiblem Blick weiß Lövestam die Unsicherheit, Angst aber auch das große Glück, endlich wahre Liebe zu fühlen von Lollo zu beschreiben, genauso die Angst, Scham und Wut von Anna, dass ihr familiärer und sozialer Hintergrund vielleicht der Grund ist, warum diese Beziehung keine Chance hat – oder vielleicht doch?

Stephanie Elisabeth Baur hat in einer wunderschönen Sprache diese vielschichtige und empathische Geschichte übersetzt, die fein eine zarte entstehende Liebe zwischen zwei ungleichen Mädchen beschreibt und Mut macht, zu seinen sexuellen Neigungen zu stehen.

Sara Lövestam arbeitet als freie Journalistin und unterrichtet Schwedisch für Ausländer. Obwohl sie hierzulande recht unbekannt ist, gehört sie zu den vielversprechendsten Nachwuchsautorinnen in Schweden und hat für „Die Wahrheit hinter der Lüge“ (rororo 2016) den schwedischen Krimipreis für das beste Spannungsdebüt erhalten. In ihrem Roman „So wie Du bist“ (2014, Krug & Schadenberg) hat sie schon einmal das Thema der Identitätsfindung und Annahme der sexuellen Neigung zwischen zwei Mädchen beschrieben.

Man sollte ein Auge auf diese Autorin werfen, die in ihrem besonderen Ton und einem sensiblen, klaren Blick schwierige Themen leicht zu lesend verpackt.

Das Cover ist atmosphärisch gut gewählt.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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