Kleine Feuer überall

Celeste Ng

Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit

dtv, April 2018

384 Seiten, € 22,00

 

 

 

Bereits mit ihrem Debüt „Was ich euch nicht erzählte“ hat Celeste Ng (gesprochen Ing) einen internationalen Bestseller-Erfolg gefeiert, das für das nachfolgende Buch die Messlatte der Erwartung hoch legen lässt – und oft nicht erreicht wird.

Die Autorin präsentiert in ihrem neuen Roman ein vielschichtiges, tiefgründiges gesellschaftliches Bild zweier grundverschiedenen amerikanischen Familien, die in dem gut situierten Viertel Shaker Heights leben.

Familie Richardson stehen vor der Ruine ihres abgebrannten Wohlstandshauses. Es ist keiner zu Schaden gekommen, allerdings ist die jüngste Tochter der Familie, Izzy, seit kurzem verschwunden und es scheint so, als ob sie mit dem Brand etwas zu tun hat.

In Shaker Heights gibt es viele Regeln und nach außen zeigt sich jedes Haus in feinem, genormten Glanz, wobei es hinter den Fassaden oft ganz anders ausschaut. Die Familie Richardson entspricht mit Wohlstand und Berufen ganz der gesellschaftlichen Etikette dieses Viertels und ist damit bei allen angesehen. Mr Richardson ist Anwalt, seine Frau ist über Shaker Heights nie groß hinausgekommen und statt einem erträumten Job als Journalistin bei einer der großen Zeitungen wie der „Plain Dealer“ ist sie Lokalreporterin bei der „Sun Press“ geworden. Die Familie ist finanziell abgesichert, doch der innere Familienfrieden wird durch das jüngste der Kinder, der rebellischen Izzy und ihren permanenten Ausbrüchen und Turbulenzen gestört. Celeste Ng gelingt es hervorragend, dieses nach außen hin „sunny-easy“ oberflächliche präsentierte amerikanische Familienleben ohne Attitüden und Klischees darzustellen.

Ein wenig Ruhe kehrt ein, als in das zweite Haus der Richardson Mia und ihre Tochter Pearl einziehen. Mia ist eine leicht chaotische Künstlerin, die mit dem Verkauf von ausgefallenen Fotografien mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt verdient. Um sich und ihre Tochter über Wasser zu halten, muss sie zahlreiche andere Jobs annehmen. Pearl kennt es nicht anders, dass sie immer wieder von Ort zu Ort quer durchs Land ziehen und nirgendwo sesshaft werden. Bis vor kurzem fand Pearl das nicht so schlimm, doch je älter sie wird, möchte sie irgendwo ankommen, Freunde finden, ihren Schulabschluss abschließen. Mia sieht das ein und verspricht ihr, in Shaker Heights länger und vielleicht für immer bleiben zu wollen.

Über die Fotografien kommen sich Mrs Richardson und Mia näher und Mrs Richardson bietet ihr an, gegen Geld vormittags in ihrem Haus unliebsame Haushaltstätigkeiten zu übernehmen, so dass sie den Rest des Tages Zeit für ihre Fotografiekunst hat. Mia nimmt das Angebot an und mit einem zusätzlichen Job in einem chinesischen Restaurant kommen sie und ihre Tochter über die Runden. Während Pearl sich mit den Richardson-Kindern Moody, Trip und Lex anfreundet und oft bei ihnen zuhause ist, fühlt sich Izzy bei Mia angenommen und aufgehoben und sucht ihre Nähe. Fast täglich ist sie bei ihr und assistiert ihr bei der Entwicklung der Fotografien.

Je näher und intensiver sich die beiden so unterschiedlichen Familien miteinander verbinden, desto deutlicher werden die Abgründe und Unterschiedlichkeiten. Durch Zufall gerät Mrs Richardson hinter ein Geheimnis von Mia und gibt mit einer verbissenen Hartnäckigkeit nicht eher auf, bis sie es enttarnt hat. Dabei ist ihr egal, was sie dabei zerstört.

Die Autorin baut klug durchdacht ein hochspannendes Psychogramm ihrer Haupt- und auch Nebenfiguren und Handlungen auf, die sich Seite für Seite immer mehr ineinander verzahnen.

Izzy ist das Kind der Richardson, die sich als rebellisches schwarzes Schaf der Familie abgrenzt und abhebt. Sie folgt nicht den konservativen Normen und trotz – oder gerade wegen ihrer Ecken und Kanten – reflektiert sie mit erbarmungslos ihre Familie.

Viele kleine Feuer von Scheinheiligkeit, Verlogenheit, Neid, falsche Entscheidungen, zweifelhafter moralischer Besserwisserei und der Erkenntnis, das Leben nicht gelebt, sondern nur vorgegebenen Normen gefolgt wurde entwickeln sich im Laufe der Zeit zu einem Flächenbrand.

Celeste Ng ist es gelungen, nahtlos an ihren ersten Erfolg mit einer fesselnden, tiefgründigen Geschichte über Geheimnisse, Regeln und das Leben anzuknüpfen.

Brigitte Jakobeit hat diesen Roman hervorragend übersetzt.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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