Bis ich ihn finde

Christine Fehér

cbt, März 2020

320 Seiten, € 10,00

ab 14 Jahren

 

 

 

Christine Fehér hat sich eines komplexen, wichtigen und in der Jugendliteratur so gut wie nicht beschriebenen Themas der anonymen Samenspende und der Suche nach dem fehlenden Stück Identität angenommen. Ein sensibles Thema, dessen Umsetzung mich neugierig gemacht hat.

An Elenas 16. Geburtstag heiraten ihre leibliche Mutter Conny und die Co-Mutter Manu, bei denen Elena aufwächst. Bereits auf den ersten beiden Seiten des Buches heißt die Autorin den Leser/die Leserin in der „Lesben-Klischee-Schublade“ herzlich willkommen und erklärt für alle unwissenden Hetereosexuellen, dass Lesben in burschikose, kurzhaarige, breitbeinig gehende „Butch“ (Elenas Co-Mutter) und feminine „Femme“ (Elenas Mutter) klassifiziert werden. Das ist Pech für alle kurzhaarfrisierten Nicht-Lesben, die gerne mal eine karierte Bluse tragen und auch noch handwerklich gut mit dem Akku-Schrauber umgehen können. Die müssen nämlich jetzt schauen, wie sie aus dieser Schublade wieder herauskommen. Ebenso unglaublich aufgesetzt das Bild, dass es in einer lesbischen Partnerschaft eine „,männliche“ Frau und eine feminine gibt. Die nächste Klischee-Schublade, die für ein aufgeschlossenes Jugendbuch irritierend einfältig ist, beschreibt, dass Schwule natürlich in engen, schwarzen und an den Knöcheln aufgekrempelten Hosen und gegelten Haaren erkennbar sind. Nebenbei bemerkt haben diese Klischees wenig mit dem Kern-Thema zu tun.

Während der Hochzeitsfeier in einem Berliner Hinterhof mit Nachbarn und Freunden, lernt Elena mit ihrer seit Kindertagen besten Freundin Fabienne einen geheimnisvollen Jungen kennen, der sich scheinbar auf dieser Feier verirrt hat. Der unnahbare Jugendliche, der mit seinen dunklen Locken und gehetzten Blick Elena an einen Löwen erinnert, wirkt durch seine machohafte, ruppige Art  faszinierend und gleichzeitig abstoßend auf sie. Die Überlegungen, wie dieser Macho-Typ wohl reagieren würde, wenn er erfährt, dass Elena aus einer Samenspende gezeugt wurde, sind der Auslöser für die junge Frau, sich intensiv mit der Vatersuche auseinanderzusetzen. Elena ist schon lange von ihren Müttern darüber aufgeklärt worden, dass sie aus einer anonymen Samenspende gezeugt wurde und bis auf einige Briefe, die sie an ihren imaginären Vater vom fünften bis 14. Lebensjahr aus verschiedenen Anlässen geschrieben hat, hat sie selten an eine Vatersuche gedacht. Obwohl sie von ihren beiden Müttern liebevoll und offen erzogen wurde, hat sie sich trotzdem immer wieder gefragt, wie manches und vielleicht ganz anders mit einem Vater gelaufen wäre.

Ihre leibliche Mutter und Co-Mutter reagieren auf Elenas Wunsch ihren leiblichen Vater zu finden zunächst offen und erzählen ihr, wie es zu der Samenspende in der darauf spezialisierten Klinik in Dänemark kam. Doch als ihre Tochter intensiver nachhakt, halten sie sich mit weiteren Informationen zurück; nicht zuletzt weil sich Manu, die Co-Mutter, durch die Suche nach dem biologischen Vater zurückgesetzt fühlt und Angst hat, ihre bisherige Eltern-Rolle zu verlieren. Obwohl die Mütter und Elena ein warmherziges, inniges Verhältnis  zueinander haben, zeugt es von wenig Vertrauen zu Elena, dass sie es nicht für nötig halten, ihr die Information zu geben, dass sie nach der künstlichen Zeugung in der Klinik die relevante Daten bezüglich des Samenspenders bei einem Notar in Berlin hinterlegt haben. Nämlich genau für den Fall, dass ihr Kind einmal Fragen zu seinem Erzeuger hat. Ihre Begründung lautet, „dass sie erst sichergehen wollten, dass Elenas Wunsch ihren Vater – und damit das fehlende Puzzlestück ihrer biologischen Identität – zu finden nicht nur eine kurz aufflammende Idee ist.“ Was für eine Einschätzung und Vertrauen haben diese beiden Frauen Elena gegenüber und welches Zugeständnis geben sie ihrer Rechte?

Elena erhält diese Information dann über ein Antwortschreiben der Klinik in Dänemark. Ihr Anschreiben an diese Klinik einer 16-jähirgen ist allerdings so erwachsen ausformuliert, dass es unwahrscheinlich scheint, dass selbst eine Gymnasiastin ohne Unterstützung einen derart sprachlich ausgefeilten Brief aufsetzen würde. Überhaupt ist die Geschichte aus Elenas Perspektive als Ich-Erzählerin sprachlich hölzern und flach und erinnert an einigen Stellen ermüdend wie ein Schulaufsatz, dann wird wieder sehr erwachsen und altbacken formuliert. Welche 16-jährige fragt ihre beste Freundin, ob ihr der neue Freund „gut tut“? Dafür wird dann ein Gästezimmer „gepimpt“. Eine stringente, authentische Sprache einer Jugendlichen wird hier nicht verfolgt.

Die egozentrische Haltung der beiden Mütter wird noch einmal betont, als Elena nach zahlreich gescheiterter Suche, mit Traumvorstellungen eines idealen Erzeugers, ihren biologischen Vater gefunden hat und ihn auf Fuerteventura besuchen will, wo er mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Die beiden Frauen mokieren sich beschämend darüber, dass der Vater nicht sofort alle Kosten für Flug und Unterkunft für ein erstes Kennenlernen verauslagt. Die unsichere, vorsichtige Annäherung des biologischen Vaters Elena gegenüber kann man statt dessen gut nachvollziehen. Trotz aller Neugier und wohlwollender Bereitschaft, seine Tochter näher kennenzulernen, hat er Angst um seine Familie, Ehe und wie seine beiden kleineren Kinder auf den Familienzuwachs reagieren.

Das ist aber auch der einzige tiefere Einblick in die achterbahngleiche Gefühlswelt von Elena, ihrem Vater und dem Thema Vatersuche. Insgesamt bleibt das Thema sehr oberflächlich und verliert sich in unzähligen und langweiligen Nebenthemen, die ebenso allesamt nur angerissen werden:

Da ist ihre beste Freundin Fabienne, die in Lübars, im Umland von Berlin auf einem Pferdehof arbeitet und unter anderem wird detailliert die Kolik eines Pferdes beschrieben, das man glaubt, eine beste Freundinnen-Pferdegeschichte zu lesen. Es mag vielleicht für jemanden in Berlin wohnenden interessant sein, jede U-Bahn-Verbindung, Straße, jedes Kiez und dessen typische Eigenheiten so detailliert beschrieben zu lesen; mich als Leserin, die noch nie in Berlin war, haben diese Passagen schnell genervt und gelangweilt.

Dann bekommt Fabienne eine amerikanische Austauschschülerin Skye zu Besuch, die natürlich später die Klassengemeinschaft in zwei Lager trennen wird. Nicht zu vergessen Rouven, der dunkle, geheimnisvolle löwenähnliche Macho, der Elena gefühlsmäßig gängelt und ausnutzt und Gero, der Halbbruder, den Elena – was für ein Zufall! – natürlich in Berlin findet und mit dessem besten Freund sich der zweite „love-interest“ für Elena in diesem Roman ergibt.

Schade, ein wirklich außergewöhnliches und existentielles Thema, verliert sich hier in so vielen Nebensächlichkeiten, dass der Kern nur oberflächlich angerissen bleibt. Zu Elena, der Ich-Erzählerin, springt nicht wirklich der Funke über, was auch an der sperrigen, nicht authentischen Sprache liegen mag und auch alle anderen Figuren bleiben aufgrund des nicht stringenten roten Fadens flach. Allenfalls der gefundene Vater mit seinen Ängsten, Zweifeln, Sorgen und mit all seinem Bemühen hebt sich etwas daraus hervor.

Leider gibt es am Ende des Buches kein Glossar mit Adressen von Kliniken, die sich auf Samenspende und damit verbundener künstlicher Befruchtung spezialisiert haben, weder hier noch in Dänemark. Für eine Betroffene wäre sicherlich, auch im angerissenen Rahmen der Geschichte, wichtig zu erfahren, unter welchen Umständen welche Informationen des Samenspenders bei einem Notar hinterlegt werden können.

So legt man die Geschichte einer Vatersuche von Christine Fehér leider mit einem zu viel an Nebensächlichkeiten und einem zu wenig vom Essenziellen, eingebettet in Klischees über Homosexuelle, aus der Hand.

Das rosafarbene Cover mit einem Foto eines Mädchens ist weitestgehend nichtssagend, nur das fehlende Stück im angedeuteten Puzzle passt zur Identitätssuche.

Sabine Wagner

 

 

 

 

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