Das ist Dein Leben

Meg Wolitzer

Aus dem Englischen von Michaela Grabinger

Dumont, 15. Oktober 2020

380 Seiten, € 24,00

 

 

 

Meg Wolitzer, Jahrgang 1959, ist seit 1982 eine mehrfach preisgekrönte Autorin von erfolgreichen Büchern, die teilweise zum Bestseller wurden, wie z.B.  „Die Interessanten“ (2014), „“Die Ehefrau“ (2016) -mit Glenn Close in der Hauptrolle verfilmt, oder „Das weibliche Prinzip“ (2018).

Mit scharfem, bissigem und ironischem Blick beschreibt sie die amerikanische Gesellschaft insgesamt und hat Familienleben und die Rolle der Frau in beidem gerne im Focus. So auch in ihrem neuen Roman „Das ist Dein Leben“, in der Übersetzung von Michaela Grabinger.

Amerika, in den Siebzigern. Dottie Engels ist mehr durch Zufall und durch ihren ironischen Galgen-Humor über ihr starkes Übergewicht darüber zum Comedy-Star im ganzen Land geworden. Mit nicht unbedingt immer niveauvollen aber dafür eindeutigen lauten Witzen über ihre voluminöse Dickleibigkeit hat sie sich zum Publikumsliebling heraufgearbeitet und genießt in vollen Zügen ihr prominentes und glamouröses Leben. Zuhause in New York leben ihre beiden Töchter, Erica, die am Beginn des Romans 16 Jahre alt ist und Opal, 11 Jahre. Nach der Scheidung ihrer Eltern haben sie nur noch sporadisch Kontakt zu ihrem Vater gehabt, der schon mit sich selbst Probleme hat, und mit der Auseinandersetzung seiner Töchter völlig überfordert ist. Selbst nicht in der Lage, über seine Gefühle reden zu können, entlässt er die beiden Mädchen bei ihrem letzten Treffen mit der Voraussage, dass sie später einmal frigide werden würden. Somit ist ihre Mutter Dottie für die beiden sehr unterschiedlichen Schwestern der einzige feste Bezugspunkt. Dieser ist aber alles andere als fest und so klammern sich die beiden so unterschiedlichen Geschwister aneinander und gemeinsames Hyperventilieren ist ihr geheimer Bund. Während Opal, dünn und von ihrem Aussehen eher nach dem Vater kommend, sich immer sehr um ihre Mutter sorgt, ihre Auftritte wie ein Schwamm aufsaugt und sie anhimmelt, sieht die ältere Erica das mit deutlichem, kritischem Abstand, was nicht nur an ihrer Dickleibigkeit liegt. Selbst als Dottie die Möglichkeit hätte, ihre Kinder nach Los Angeles zu holen, findet sie fadenscheinige Ausreden dafür. Zu sehr genießt sie ihr Promi-Star-Leben, den Luxus und die wechselnden Männer-Beziehungen. In New York werden ihre Töchter von ständig wechselnden heranstrebenden Comedy-Künstlern als Baby-Sitter „behütet“, wobei das eher recht als schlecht und oft auch gar nicht geschieht, je nach Lust und Laune der Anwesenden.

Während Opal und Erica lernen müssen, jede für sich ihren eigenen Weg zu finden, gerät Dotties Stern am Comedian-Himmel in den absoluten Sinkflug. 10 Jahre später ist sie nicht mehr gefragt, ihre Karriere ist aus. Opal fühlt sich wieder verantwortlich für ihre Mutter, während Erica sich zurückgezogen hat und kaum noch Kontakt mit ihrer Mutter hatte. Eine schwierige Familienkrise führt die beiden Schwestern wieder zueinander, die sich mittlerweile völlig entfernt haben.

Meg Wolitzer beschreibt auch in ihrem neuesten Buch mit scharfem Blick eine (amerikanische) unkonventionelle Familie. Wobei Familie schon übertrieben ist, denn es ist die Dreieckbeziehung der beiden so unterschiedlichen Töchter, in der die beiden, jede auf ihre Weise, mit dem glamourösen, prominenten und letztlich zerfallenden Comedy-Dasein ihrer Mutter zurechtkommen müssen. Die Autorin erzählt mit sezierendem, schonungslosem Blick und dennoch nie verachtend, die egoistische Mutter, die sich scheinbar nichts daraus macht, mit ihrer enormen Dickleibigkeit grölende Witze zu reißen und damit zum Comedy-Star avanciert und ihre Töchter mit gebührenden Abstand in der zweiten Reihe lässt.

Erica kämpft neben der verhängnisvollen Annäherung zu ihrer Mutter zusätzlich mit ihrem eigenen starken Übergewicht. Anders als Dottie leidet Erica sehr darunter und findet keinen Einklang mit ihrer körperlichen Identität. Sie kämpft sich ohne Ausbildung mit bizarren Liebesbeziehungen durch ein einsames Leben, in dem nur Essen eine gewisse Befriedigung gibt. Meg Wolitzer zeigt zwei völlig unterschiedliche Schwestern, die sich im Laufe ihrer Entwicklung sehr voneinander entfernt haben. Opal versucht ein Studium, muss aber eine Auszeit nehmen, da sie sich auf nichts anderes mehr konzentrieren kann, als das unbarmherzig rasche Verglühen des Erfolgs am Comedy-Himmel ihrer Mutter zu beobachten. Keine der beiden, selbst Erica, konnte sich wirklich von ihrer Mutter abnabeln. Durch oberflächliches Dasein ihrer Mutter und mangelnde warmherzige und gefühlvolle Zuwendung sind sie zu emotional verwahrlosten jungen Frauen herangewachsen, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen. Erst als es eine schwere familiäre Krise und Auseinandersetzung um Dottie gibt, nähern sich die beiden Schwestern wieder an und müssen sich zum ersten Mal dem Erwachsenwerden stellen. Jede der drei Frauen wird bewusst, „dass ist dein Leben“ und man selbst hat es in der Hand, wohin es führt.

Meg Wolitzer legt in ihrem neuen Roman erneut eine warmherzige, melancholische Geschichte  mit einem Schuss kluger Ironie von leidvollem Erwachsenwerden vor. Eingebettet im Auf und Ab des egoistischen Künstler-Lebens ihrer Mutter kämpfen die beiden jungen Frauen um ihre (körperliche) Identität und suchen Liebe und Anerkennung, die sie aufgrund der emotionalen Defizite durch ihre Eltern kaum kennengelernt haben.

Wie sagt man so schön auf Deutsch: Ein packender „Pageturner“!

Das quietschgelbe Cover mit dem konfettianmutenden bunten Punkten, auf dem der Titel klar hervorsticht, passt sehr gut.

Sabine Wagner

 

 

 

 

 

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