Marta Orriols
Aus dem Katalanischen von Ursula Bachhausen
dtv, 12. Oktober 2020
288 Seiten, € 20,00
Paula, Neonatologin trifft sich mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Mauro, der mit seinem besten Freund Nacho einen kleinen Verlag leitet, zu einem Mittagessen in einem Strandrestaurant in Barcelona. Dort eröffnet er ihr, dass er seit längerem ein Verhältnis mit einer jüngeren Frau hat und sich von Paula trennen wird. Fassungslos von dieser Botschaft entzieht sich Paula beim Abschied Mauros Versuch, sie zu umarmen. Kurze Zeit später erhält sie von Nacho einen Anruf, sie möge sofort in die Klinik kommen, da Mauro einen schweren Unfall hatte; ein Autofahrer hat ihm, auf seinem Fahrrad unterwegs, die Vorfahrt genommen. Als Paula im Krankenhaus ankommt, ist Mauro bereits verstorben. Die zweiundvierzigjährige steht unter Schock und vor den Trümmern ihres Lebens. Zehn Jahre lang hat sie mit Mauro zusammengelebt, sind auf ihren Wunsch hin kinderlos geblieben und haben sich gemütlich in ihrer Zweisamkeit eingerichtet. Doch jetzt wird ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt. Da sind Wut und Verletzung über seine vorherige Mitteilung der Trennung verbunden mit der Frage, wie die Trauer über den plötzlichen Tod des Geliebten gelebt werden soll?
Marta Orriol präsentiert mit „Zwischen den Zeiten“ ihr Romandebüt, das mit dem spanischen „Premi Ómnium 2018“ für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet wurde und 60 Wochen auf der spanischen Bestsellerliste stand und in ein Dutzend Sprachen übersetzt wurde. Auch mich haben der Titel und die Beschreibung neugierig gemacht.
Nach der Hälfte des Buches habe ich mich allerdings gefragt, ob ich das Buch aus der Hand legen soll, denn bis dahin konnte ich mit der aus der Ich-Perspektive erzählenden Hauptfigur Paula keine Verbindung eingehen. Natürlich ist eine Zerrissenheit zwischen Trauer, Wut, Schock, Hass nachvollziehbar und will man auch lesen. Aber Orriol lässt ihre Figur permanent lamentieren und springt dabei verwirrend zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Dabei reflektiert Paula nicht wirklich ihre Beziehung mit Mauro, sondern driftet immer dann ab, wenn es in die Tiefe gehen könnte. So bleibt ihre Persönlichkeit oberflächlich, selbst in den ermüdenden, weil durch Fachjargon besetzten, Erzählungen aus ihrem eigentlich hochinteressanten Klinikalltag. Leider bleiben auch die anderen Figuren, die mit ihr in enger Verbindung sind, nur angerissen. Paula ist eine introvertierte und nicht einfache Frau, die ihr Lamento pendeln lässt zwischen der zwiegespaltenen Beziehung zu ihrem Vater (bedingt durch den frühen Tod ihrer Mutter), der fordernden Klinikarbeit, dem zunächst One-Night-Stand mit Quim, dem ablehnenden Verhältnis Mauros Familie ihr gegenüber und dem überschaubaren Freundeskreis, allen voran ihre beste Freundin Lídia. Zwischen diesen Eckpfeilern bewegt sich in einem verwirrenden Stakkato die Erzählung, in der man aber weder einen wirklichen roten Faden findet, sich noch eine Entwicklung des Trauer- und Verarbeitungsprozesses von Paula erkennen lässt. Es gibt durchaus einige Stellen, die kluge und lebensreife Gedanken wiedergeben (Übersetzung Ursula Bachhausen); leider überliest man sie schnell bei dem fahrigen, unzusammenhängenden Hin- und Herspringen von zeitlichen Perspektiven und banalen Alltäglichkeiten, die in jammernden Ton von der Protagonistin zerfasert werden. Dann gibt es Gedanken und Handlungen von Paula, die für mich nicht nachvollziehbar und fremd sind – was natürlich von der Autorin gewollt sein kann, aber nicht unbedingt den Kontext von Charakter, Handlung und Leser in Einklang bringt.
Ein Jahr begleitet man Paula in ihrer angeblichen „Trauerverarbeitung“ und kurz vor Schluss kommt Paula zu der Erkenntnis, „dass Veränderung möglich ist; man muss nur zu sich selbst zurückfinden“. Dazu sollte man allerdings im Grunde nach wissen, wo man selbst war, bevor man sich verlor. Doch das scheint die Figur in mit ihren zweiundvierzig Jahren nicht zu wissen, zumindest spiegelt das die Art und Weise ihrer Erzählung. Ich habe das Buch mit Widerwillen zu Ende gelesen, in der Hoffnung, dass sich bis zum Ende noch ein „Aha“-Effekt oder eine Schlüsselstelle findet. Leider blieb beides aus. Enttäuscht und mit der Frage, warum dieses Buch diesen Erfolg feiert, habe ich es aus der Hand gelegt.
Handwerklich durchschnittlich geschrieben, eine oberflächlich bleibende 42-jährige Protagonistin, die sich mit einem durchweg selbstbemitleidenden Ton ohne roten Faden durch Trauer, Wut und Auflehnung kämpft, aber dabei keine wirkliche Entwicklung erlebt. Ich bin als zehn Jahre ältere Leserin leer und ratlos zurückgeblieben.
Das Cover mit den nach unten hängenden Blumen (Tulpen?) und die Innenillustrationen mit kurzen Textpassagen aus dem Buch sind insoweit stimmig, als dass sie den, ganz im Gegensatz von Mauro, nicht vorhandenen grünen Daumen von Paula spiegeln. Ansonsten wirken sie leicht blümerant. 😉
Sabine Wagner