Daniel Speck
Fischer Taschenbuch, 24. März 2021
672 Seiten, € 16,99
In seinem neuen Roman „Jaffa Road“ führt Daniel Speck die Geschichte seines Romans „Piccola Sicilia“ fort, der problemlos unabhängig davon gelesen werden kann.
Die Archäologin Nina und ihre jüdische Tante Joelle aus Paris treffen sich in Palermo, um das Erbe ihres Großvaters und Vaters Moritz anzutreten. Hier treffen die beiden Frauen auf Elias, der in Palermo lebt und behauptet, Moritz Sohn zu sein. Moritz Reincke arbeitete als Fotograf bei der deutschen Wehrmacht in Tunis, desertierte und wurde von einer jüdischen Familie versteckt. Er flüchtet mit seiner Frau nach Israel und eröffnet einen Fotoladen in der Jaffa Road. Das Fotografieren ist seine Leidenschaft und zunächst glaubt er, mit einem wachsamen Auge und kritischer Beobachtung durch den furchtbaren Nahostkonflikt zu kommen. Doch Moris muss schmerzhaft lernen, dass es im Leben auch dazugehört, Stellung zu nehmen.
Der kompakte Roman, der in den fünfziger Jahren beginnt und in den neunziger Jahren endet, beschreibt hervorragend recherchiert und ohne jegliche Bewertung den bis heute andauernden Nahostkonflikt und die unüberbrückbaren Differenzen zwischen Juden und Arabern. Der Fotograf Moritz lebt wie ein Chamäleon drei verschiedene Lebensentwürfe in unterschiedlichen Ländern und ist der rote Faden in diesem opulenten und hoch spannenden Episodenroman, der zwischen Berlin, Haifa, Jaffa und München spielt.
Der von Anfang bis Ende fesselnde Roman ist geprägt von gründlicher Recherche historischer Fakten und der hervorragenden Herausarbeitung fiktiver Figuren, in der zwei Halbgeschwister und die Enkelin versuchen, das zerrissene Leben ihres Vaters und Großvaters nach seinem Tod zusammenzuführen, damit die Lücken der jeweils eigenen Familiengeschichte zu füllen und sich ganz behutsam zu nähern. Aus verschiedenen Perspektiven zeigt der Autor, wie politische Entscheidungen und Entwicklungen sich auf die verschiedenen jüdischen und arabischen Familienleben und einzelnen Personen auswirken. Somit beleuchtet Daniel Speck bewertungsfrei den bis heute andauernden Krieg zwischen diesen Menschen unterschiedlichen Glaubens. Mit beeindruckenden bilderstarken Beschreibungen und Dialogen hat Daniel Speck einen großartigen politischen Familien-Roman geschrieben, in dem es um Menschlichkeit, der nicht enden wollenden Hoffnung auf Frieden, der Frage nach den Wurzeln und persönlicher wie gesellschaftlicher Identität geht – und welche Auswirkungen dies auf ein Leben hat. Selten habe ich ein so komplexes Buch mit knapp 700 Seiten mit einem solch durchgängig gehaltenen Spannungsbogen gelese. Ein fulminanter Roman, der nach wie vor aktuelle Themen behandelt, nachdenklich macht und lange nachhallt.
Sabine Wagner