Heinz Strunk
Rowohlt, 20.07.2021
288 Seiten, € 22,00
… ist für mich das erste Buch von Heinz Strunk, der sich mit „Fleisch ist mein Gemüse“ (2004) oder „Der goldene Handschuh“ (2016) und „Jürgen“ (2017) schon lange eine Fangemeinde um sich geschart hat. „Es ist immer so schön mit Dir“ stand auf der Nominierungsliste für den diesjährigen „Deutschen Buchpreis“.
Der in der Geschichte namenlos bleibende 47-jährige Ex-Musiker und mit eigenem Studio für Sprachaufnahmen und Audioproduktionen seinen nicht immer flüssig laufenden Lebensunterhalt verdient, ist in der schon länger laufenden Beziehung mit Julia gelangweilt. Er verspürt kein wirkliches Interesse an seiner Partnerin und auch keine Lust auf Sex, das Wochenende verbringt man zu zweit, ansonsten lebt jeder in seiner eigenen Wohnung. In dieser Beziehungstristesse überlegt der Erzähler sich zu trennen, was aber bis jetzt nur ein Gedanke war. Als sie wieder ein Wochenende voller Schweigen und Langeweile miteinander verbringen, setzt Julia den Erzähler am Sonntagnachmittag vor seiner Haustüre ab, mit der Aufforderung zu überlegen, wie es weitergehen soll. Zum Glück muss der Mann nicht lange überlegen, denn er lernt auf einer Premierenparty Vanessa kennen, eine Schauspielerin Anfang Dreißig, die eher unbeachtete Rollen spielt und auf ihren großen Durchbruch wartet. Er verliebt sich aus dem Stand in die junge Frau und so fällt es nicht schwer, die Beziehung mit Julia zu beenden. Vanessa dagegen zeigt nicht die gleiche Zuneigung zur schmachtenden Hauptfigur. Sie lässt ihn zappeln und gerne sich von ihm aushalten, was dieser zunächst nur zu gerne tut. Er sehnt sich in jeder Sekunde und Minute nach Sex mit ihr, da alles an ihr für ihn „heiß“ ist. Es dauert noch einige Zeit, bis die beiden dann endlich den ersehnten Sex haben, den vor allem er in vollen Zügen genießt. Vor lauter Liebesglück lädt er Vanessa, die so gut wie nie etwas isst und sphärisch wirkt, zu einem romantischen Wochenendtrip nach Heiligendamm ein und dort wird er von seinen Gefühlen dermaßen überrollt, dass er ihr einen Heiratsantrag macht. Dass es trotz größter händchenhaltender Verliebtheit in einem Strandkorb nicht zu einer Hochzeit kommen wird, ist keine Überraschung, amüsant und schräg ist allerdings der Weg dorthin und darüber hinaus, wie es für den Mann in seiner tiefen Midlife-Krise, der veränderten Ex-Freundin Julia und der beziehungsgestörten Vanessa weitergeht.
Heinz Strunk erzählt in herrlich lakonischen, ironischen und leicht zu lesenden Ton die Innensicht eines Mannes, dem es an Selbstbewusstsein fehlt und dessen jugendliche Leichtigkeit sich immer schneller verliert und gegen Rückenschmerzen, Geräuschempfindlichkeit und selbstbemitleidendes Jammern über Kleinigkeiten eintauscht. Da wird sich nach Sex mit einer unerreichbaren jungen Frau aus tiefster Seele und mit aller Offenheit gesehnt, da wird gesoffen, gefickt und wenn das nicht klappt, werden das eigene Leben und das der anderen hart in Frage gestellt. Dabei analysiert der Protagonist unerbittlich offen sein seelisches Innenleben, wie er gerne nach außen wirken würde, seine Sexwünsche- und Vorstellungen und den Zerfall seines alternden Körpers. Heinz Strunk, Jahrgang 1962, beschreibt mit seiner Hauptfigur so gnadenlos die Schwierigkeiten als Mann, das älter werden anzunehmen, dass es der in die Jahre kommenden Männerwelt vielleicht an einigen Stellen unangenehm sein könnte, so dargestellt zu werden.
Der Autor ist ein guter Beobachter von Beziehungen und Beziehungskonstrukten in (und auch außerhalb) der Theater- und Künstlerszene. Er beleuchtet Hoffnungen, Sehnsüchte, Verliebtheit, Streitereien im Kleinen und Großen und Trennungen und alles, was eine Beziehung beinhalten kann. Doch nicht nur das beschreibt er sehr gut beobachtend, auch kleinere, scheinbar unbedeutende Szenen wie das Schlangestehen vor einer Disco und das versuchte Abzappeln dort oder die Burger essenden Typen in einem tiefer gelegten BMW.
Strunk polarisiert und übertreibt in dieser tragisch-komischen Beziehung und dessen Umfeld nahezu alles mit einem schrägen, traurig-deprimierten und hin und wieder auch aggressiven Ton, wobei dieses Übertreiben für mich an manchen Stellen schon fast über die Spitze getrieben wird. So war für mich die Beschreibung von Vanessas Vergewaltigung in diesem Kontext als „dramatische Einlage“ zu oberflächlich gehalten und finde es nicht klug und angemessen gelöst, das sonderbare Verhalten von Vanessa damit erklären zu wollen. Auch die Suche nach dem roten Schlüpfer, der nach einem spontanen One-Night-Stand mit seiner Ex verloren gegangen ist und immer wieder Thema ist, aber nicht bis zum Ende nicht gefunden wurde, hat sich mir nicht erschlossen. Trotzdem ist es eine amüsante, kurzweilige Story in 23 Kapitel über ein schräges, bizarres Beziehungsdrama in ganz unterschiedlichen Erzählmodulationen, bei dem man am Ende weder erstaunt noch traurig ist, dass die beiden nicht zusammenkommen.
Sabine Wagner