John von Düffel
Dumont Verlag, Juli 2021
320 Seiten, € 22,00
Aufmerksam und neugierig gemacht wurde ich auf diese Familiengeschichte durch ein Interview und Podcast der lokalen Presse.
Es ist Frühjahr 2020 und Richard, ehemaliger evangelischer Pfarrer und seit 45 Jahren Witwer lebt in einem kleinen Dorf in der Uckermark mit Krebs im Endstadium. Seine Enkelin Selma macht sich mit der besten Freundin ihrer Mutter, Kathi, einer Palliativmedizinerin mit hervorragendem Ruf, auf den Weg zu ihrem Großvater. Selmas Mutter Maria und Richards ehemaliger Schwiegertochter ist Anästhesistin in der Charité, muss aber gerade in Quarantäne gehen und bittet daher ihre Tochter, mit der besten Freundin nach Richard zu schauen, wie man ihm noch helfen kann, wenn er sich denn helfen lässt.
Richards Sohn Holger und Ex-Ehemann von Maria befindet sich erneut in einer psychiatrischen Klinik. Er hat schon vor längerer Zeit den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen, dem er nie gerecht werden konnte, seitdem seine Mutter bei seiner Geburt starb. Jakob, Selmas Bruder, der mehr oder weniger im Leben orientierungslos Kunst studiert, ist gerade bei seiner Freundin rausgeflogen und sucht daher Asyl bei seiner Mutter. Während er dort haust, versucht Jakob in ihrer Wohnung den Safe zu knacken, um einen Drogen-Trip nach Amsterdam zu finanzieren, denn er ist nicht nur wohnungslos, sondern auch hoffnungslos pleite. Als Muse steht Jakob Modell für seine angeschmachtete Professorin, die mit Wiener Schmäh und barocker Figur dem Klischee schräger Künstlernatur entspricht. Als sie sich dann als völlig betrunkene Drogenkurierin entpuppt, die gemeinsam mit Jakob auf einen Drogentrip nach Amsterdam aufbricht, entgleitet diese Figur jeder Ernsthaftigkeit.
Selmas und Jakobs Mutter Maria trifft auf einen mysteriösen Rabbiner, der plötzlich in der Wohnung über ihr auftaucht, was mir recht konstruiert erscheint. Mit dem geheimnisvollen Rabbiner übersteht sie in seiner Wohnung ihre 14-tägige Quarantänezeit, weil sich in ihrer Wohnung ihr Sohn Jakob eingenistet hat, mit dem sie diese Zeit nicht gemeinsam verbringen will. In dieser Zeit arbeitet sie mit ihm den Holocaust und ihr persönliches Leben auf, was am Ende des Buches im Schnelldurchgang aufbereitet zusammengefasst wird. Derweil bemüht sich Tochter Selma um ein letztes versöhnendes Gespräch zwischen ihrem Vater und Opa, dem nicht mehr viel Zeit bleibt.
Ein schwarzer Kater, der Richard zugelaufen ist, spielt ebenfalls eine mysteriöse Rolle. Er gehört als Therapiekatze in die Klinik, in der sich Richards Sohn Holger gerade aufhält. Eine andere Katze, die nicht unwesentlich ist, gehörte einer alten Dame im Pflegeheim und blieb nach ihrem Tod dort, da sie als Todesbotin fungierte und sich an die Tür des jeweiligen Zimmers legte, in dem kurz danach gestorben wurde. Aber immer rechtzeitig genug, um den evangelischen Pastor Richard zu rufen. Dieser lehnte allerdings früher immer ein Haustier kategorisch ab, damit sein Sohn Holger keine emotionale Bindung zu einem Lebewesen aufbaut, das er dann doch wieder verliert, was besonders für Holger als Tierfreund regelrecht quälend war. Jetzt ist der zugelaufene schwarze Kater, der, wie Richard und die Katze im Pflegeheim an Krebs erkrankt ist, für seine letze Zeit an seiner Seite, wobei Richard um das Leben des Tieres energisch kämpft.
Von allen Figuren ist die des sterbenden Pastors Richard noch die psychologisch nachvollziehbarste und ausgefeilteste. Alle anderen Protagonisten bleiben nebulös und konturenhaft. Da ist die Palliativmedizinerin Kathi, die mit ihrem schwarz gekleideten Auftreten und Persönlichkeit den Tod ständig um sich erahnen lässt. Sie versucht natürlich mit allen Mittlen den schwarzen Kater zu retten, der, was für ein Zufall, wie Richard sowie die Katze aus dem Pflegeheim, ebenfalls an Krebs erkrankt ist, auch wenn der Tiermediziner eine andere Meinung vertritt. Die Enkelin Selma, die sich in der Familie als Außenseiterin fühlt und ihrer Meinung nach immer versucht hat, alle beisammen zu halten, bleibt in ihrer Persönlichkeit trotz Vergewaltigung und Suizidversuch blass und ohne Tiefe, ebenso ihr Bruder Jakob, der orientierungslos als Künstler durch die Story huscht.
Während ihrer Zeit bei ihrem Großvater, der in einem kleinen Kaff lebt, gerät Selma mit der einfältigen Dorfjugend aneinander und es kommt zu einer Auseinandersetzung, in dessen Folge sie betrunken gemacht und vergewaltigt wird, was einem Suizidversuch und in die gleiche psychiatrische Klinik führt, in der ihr Vater gerade nach seinem missglückten Suizid versucht, gesund zu werden.
Und schon wieder versucht ein männlicher Autor mit einer für mich schaudernd oberflächlich beschriebenen (zuletzt so gelesen bei Heinz Strunk „Es war immer so schön mit Dir“) Vergewaltigungsszene einen konstruierten dramatischen Höhepunkt herbeizuführen, was ich abstoßend finde. Mehrfach und wesentlich ausführlicher wird dagegen auf den lang ersehnten WLAN-Hotspots für die Dorfbewohner auf dem Kirchberg eingegangen.
Am Ende des Buches war ich regelrecht ratlos verwirrt von dieser auch sprachlich nebulös geschwurbelten Story. Ich habe einen roten Faden, bis auf die esoterisch angehauchte Katze als Todesbotin sowie Richards zugelaufenen schwarzen Kater, mit dem der Sterbende glaubt, den Kontakt zu seinem Sohn durch sein eigenes, nicht bearbeitetes und an seinen Sohn weitergebenes Trauma zurechtzurücken, vergeblich sucht. Dafür bin ich mit so vielen nicht nachollziehbaren Wendungen überrascht worden, dass mir schwindelig wurde. Der Autor hat sich bemüht, einer unausgegorenen Familienaufstellung eine tiefenpsychologische Sicht einzuhauchen und dabei überzogen daneben geatmet.
In dem Interview mit dem Autor ging es im Zusammenhang mit dem vorliegenden Titel um die Themen Sterben, Tod und unseren Umgang damit, was ich spannend fand. So ansprechend diese Unterhaltung war, so sehr hat mich das Buch enttäuscht.
Schade, dass sich eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Tod und Sterben, gerade mit dem aktuellen Bezug zur Corona-Pandemie, mit zu vielen Oberflächlichkeiten, unglaubwürdigen Wendungen und zu wenig Tiefe in Figuren, Handlung und Sprache verloren hat. Der Titel offenbart den Inhalt der abstrusen Geschichte, in der nicht aufgearbeitete Wut auf ebensolche Schuld trifft.
Das Cover, ist so allgemein, dass es für alles und nichts passt und daher wieder stimmig ist.
Sabine Wagner