Ombra – Roman einer Wiedergeburt

Hanns-Josef Ortheil

Luchterhand, Oktober 2021

304 Seiten, € 24,00

 

 

 

 

Bei einer routinemäßigen Untersuchung stellt der Hausarzt bei dem 68-jährigen Hanns-Josef Ortheil eine schwere Herzinsuffizienz fest, die ihn in Lebensgefahr gebracht hat. Da die Fertigstellung seines Romans über „Hemingway in Venedig“ im Vordergrund stand, hatte der Autor den ärztlichen Check-Up um einige Monate nach hinten verschoben und wähnte sich bis dahin gesund, doch jetzt muss er umgehend operiert werden.

Hanns-Josef Ortheil liegt nach der schweren Herz-OP ungewöhnlich lange auf der Intensivstation und fällt für einige Tage ins Koma, aus dem die Ärzte zunächst fürchten, dass er nicht mehr aufwacht.

Nach seinem Krankenhausaufenthalt begibt sich der Autor in eine Reha, die ihn physisch wieder aufbauen, aber auch psychisch wieder Boden unter seinen Füßen bringen soll. Hier setzt der Roman der Wiedergeburt des Autors ein. Hanns-Josef Ortheil wurde durch die plötzliche Herz-Erkrankung, der dramatischen OP und den Folgen von jetzt auf gleich aus seinem gewohnten Leben geworfen. Er kann nicht mehr schreiben wie früher und hält mühsam seine Gedanken und Beobachtungen per Diktiergerät und in der Malerei fest. Ortheil erzählt in seinem wohl persönlichsten Roman von der Ohnmacht gegenüber seiner Erkrankung, seinen (Lebens-)Ängsten, dem Zweifel daran, jemals wieder schreiben zu können und der zunächst skeptischen Hoffnung, sein neues Leben dem gewohnten annähern zu können.

Wie in einer Collage setzt Hanns-Josef Ortheil in kleinen Abschnitten, Erinnerungen aus der Vergangenheit und Wahrnehmungen aus der Gegenwart gegenüber und versucht damit Schritt für Schritt sein neues, zweites Leben aufzubauen. Dabei hilft Ortheil der Rückzug in sein Elternhaus im Westerwald, in dem er Zwiegespräche mit seinen Eltern und durchaus auch streitbare Unterhaltungen mit Dr. Sigmund Freud hält, den sein Vater nicht wirklich geschätzt hat. Mit den Erinnerungen an seine Kindheit nähert der Schriftsteller sich Köln-Nippes, wo er zu der Zeit wohnte und in Zukunft wieder vorhat, am Erzbergerplatz, wie früher, eine kleine Wohnung zu beziehen. Diese Erinnerungen an seine Familie und seine Kindheit,  stellt der Autor mit zahlreichen Aufzeichnungen, Alben, Chroniken, Tagebücher und Reiseerzählungen in seiner liebevoll eingerichteten „Sala Ortheil“ aus, einem achtzig Quadratmeter großen ehemaligen Laden im Westerwald nahe dem Elternhaus, „mit großer Fensterfläche zur Straße und nach hinten, zum Hof“. Es ist ein Herzensprojekt des Autors, das er bereits vor seiner schweren Erkrankung und OP begann und ihm jetzt hilft, den Spagat zwischen Erinnerungen und dem Gegenwärtigen neuen Leben zu verbinden.

Das aus dem italienischen stammenden Ombra bedeutet Schatten. Wie der Schriftsteller Ortheil aus dem Schatten seiner Ohnmacht gegenüber der Herz-Erkrankung mit den dramatischen Folgen, seine Lebens- und Schreibkrise erwacht, seine parallel laufenden unterschiedlichen Trainingsprogramme für Körper und Gehirn durchlebt und neue Zuversicht und Perspektiven erarbeitet, beschreibt der Schriftsteller in einer klaren, berührenden aber nie sentimentalen Analyse. Dabei helfen ihm die verschiedenen Bewegungstherapien samt engagierten Therapeuten, sowie die Psychologin Frau Dr. Werth, die mit ihm in zahlreichen Einzelgesprächen, jedoch fernab einer klassischen Psychotherapie, die Geschichte seiner Krankheit ergründet.

In einer breiten Reflexion seines Lebens aus Vergangenheit und Gegenwart fragt sich Ortheil auch, warum der die Anzeichen seiner schweren Herz-Erkrankung nicht wahr- und ernst genommen hat. Sein neues Leben wird der Autor achtsamer, aber dennoch mit großem Genuss annehmen und auch das Schreiben wird, lebensnotwendig, dazugehören – aber nicht mehr so exzessiv wie früher.

Johannes Ortheil macht mit seiner Wiedergeburt Mut und gibt Zuversicht für jede*n, die  oder der durch schwere Krisen aus den gewohnten Lebensbahnen geworfen wurde, dass es sich lohnt, bisherige Talente und Fertigkeiten wieder neu zu erarbeiten, die ungewohnten Lebensumstände anzunehmen und mit neuen Erkenntnissen wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen.

„Ombra“ ist ein aufmerksames Dankeschön an das Leben und ein berührend-aufmunternder Unterstützer für die persönliche Resilienz, auch wenn sie harte Arbeit ist und Geduld erfordert.

Sabine Wagner

 

 

 

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