Harte Schale, Weichtierkern

Cornelia Travnicek

mit Illustrationen von Michael Szyszka

Beltz & Gelberg, 09. März 2022

126 Seiten, € 15,00

ab 14 Jahre

 

 

Die fast 17 Jahre alte Fabienne, genannt Fabi, hat sich gerade von ihrem Freund Marco getrennt und stellt fest, dass sie nicht nur eine Freundschaft mit Sexualleben verloren hat, sondern auch sämtliche ehemalige Freundinnen und Freunde. Fabi fühlt sich einsam, denn ihre noch verbliebenen Freunde/Freundinnen sind nach ihrem Befinden „hart an der Be-Kante“ (Bekannte). Walli ist aus Fabis Sicht ihre beste Freundin, doch auch von ihr ist Fabi enttäuscht.

Fabi weiß schon seit einiger Zeit, dass sie sich mit ihrem Verhalten und Empfinden von anderen abhebt, sie in vielerlei Hinsicht „besonders“ ist. Sie ist traurig und auch verzweifelt, weil sie mit ihrem Verhalten andere oft nervt, aber nicht anders kann, auch wenn Fabi es noch so gerne will. Daher investiert sie nach der Trennung von Marco den Lohn ihres Ferienpraktikums in eine psychologische Diagnostik bei einem klinischen Psychologen, wobei weder ihre Eltern noch andere davon etwas wissen. Der Psychologe bittet Fabi, neben ihren Gesprächen, ein Tagebuch zu führen und einen Brief an sich selbst zu schreiben, um ihre Gedanken und Gefühle festzuhalten und zu sortieren. Zunächst ist Fabi von diesen Vorschlägen wenig begeistert, lässt sich aber dennoch darauf ein und stellt fest, dass dieses Niederschreiben und Reflektieren eine beruhigende Wirkung auf sie hat und ihr manches dadurch klarer wird. Das hilft ihr auch die Diagnose Asperger, eine Form von Autismus, zu verstehen und sich mit dieser Krankheit selbstbestimmt anzunehmen.

Cornelia Travnicek fasst in längeren wie kürzeren Tagebucheinträgen, Notizen und Mindmaps Fabis bunt-chaotische Gedankenwelt zu verschiedenen Themen mit witzigem Biss und Ironie sich selbst gegenüber, einer Collage ähnlich, zusammen. Durch die in der Ich-Form erzählenden Figur bekommt der Leser/die Leserin schnell eine Beziehung zu Fabi, denn man wird Teil ihrer Reflektion über ihr Tun und ihrem Verhalten gegenüber anderen. Mit der humorvoll aber auch traurig-melancholisch niedergeschriebenen Innensicht von Fabis Gedanken und Gefühlen lernt die junge Frau zu verstehen, warum sie sich manchmal so verhält, wie sie es tut – was von ihren Mitmenschen oft nicht verstanden und nachvollzogen wird. Andererseits fühlt sich Fabi oft von ihrer Umwelt überfordert und es kostet ihr viel Mühe und Kraft, sich irgendwie einzuordnen.

Ganz nebenbei werden Begriffe und Unterschiede von Psychotherapeut, Psychiater und Psychologe verständlich und ebenfalls mit einem gewissen Augenzwinkern erklärt. Dass die Diagnose Asperger mit vielen Unterschieden und Formen einhergeht und es Verknüpfungen zu anderen Krankheiten gibt, wird, ohne zu überfrachten und in die Tiefe zu gehen, leicht begreifbar beschrieben.

Der Illustrator Michael Szyszka hat mit dem Oktopus ein passendes „tierisches“ Pendant zu Fabis Gedanken- und Seelenwelt gewählt und in unterschiedlichsten Formen, Bildern in Szene gesetzt: „Der Oktopus ist wie Fabi ein Einzelgänger, undurchschaubar, kaum erforscht und seiner Umwelt überlegen.“  (Zitat aus dem Buch) Wunderbar übereinstimmende, schräg-bunte, kräftige Illustrationen, oft ganzseitig, ergänzen intensivierend die Gedankenschnipsel und setzen den Oktopus stimmig in den Kontext.

Mit dieser gelungenen Symbiose von Text und Illustration wird „Asperger“ nicht en Detail erklärt, aber sie wird mit Reflektion, Witz und Ironie aus der Sicht einer, von der Krankheit betroffenen, heranwachsenden jungen Frau beschrieben. Fabi begibt sich nach der Erkenntnis und Akzeptanz, dass man mit Asperger anders ist als andere, mutig auf den Weg, damit dennoch ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes (Sexual-)Leben zu führen. Auch wenn das für sie selbst und für ihre Umwelt nicht immer einfach und manchmal auch eine Herausforderung ist.

Ein perfekt passender Titel mit Cover runden das Buch ab.

Sabine Wagner

 

 

 

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