Ende in Sicht

Ronja von Rönne

dtv, Februar 2022

256 Seiten, € 22,00

 

 

 

 

Ronja von Rönne war zum Erscheinungsdatum mit vielen Interviews über dieses Buch und der Erkrankung Depression in diversen Medien präsent. Eine Krankheit, mit der sie selber gelernt hat zu leben.

Mit dem Roadtrip „Ende in Sicht“ zeigt die Autorin, dass eine Depression jeden in jedem Alter treffen kann. Hella Licht, 69 Jahre und Schlägersängerin aus vergangenen Tagen, ist mit ihrem Auto auf dem Weg nach Zürich, um ihrem überdrüssig gewordenen Leben in einem Sterbehospiz zu beenden. Juli, 15 Jahre, springt mit einem Schneckenhaus in der Hand von einer Wildbrücke in Nordrhein-Westfalen, weil sie eine unendliche Sehnsucht nach ihrer Mutter quält und auch aus anderen Gründen keine Lebensperspektive mehr für sich sieht. Sie hat keine Erinnerung an ihre Mutter, die die Familie schon vor vielen Jahren verlassen hat und als Schneckenexpertin über den Globus hinweg forscht. Doch Julis Suizidversuch misslingt und sie fällt ausgerechnet vor dem Wagen der vorbeifahrenden Hella auf den Asphalt, die sie von der Fahrbahn auf den Randstreifen zieht. Ab diesem Moment verbindet sich ein dynamisches Frauen-Duo, das unterschiedlicher nicht sein kann – mit Ausnahme eines gemeinsamen Ziels.

So unterschiedlich die Hella und Juli von Alter und Vita sind, sind, so zerbrechlich sind beide und sich einig darin, dass sie keine Perspektive mehr für Ihr Leben und ihre Zukunft sehen und ihr Leben selbstbestimmt und alleine beenden wollen. Obwohl weder Hella noch Juli zunächst erfreut darüber ist, den anderen plötzlich an ihrer Seite zu haben, kümmert sich Hella erst einmal mütterlich/großmütterlich besorgt – obwohl sie nie Kinder haben wollte –  um Juli und fährt sie ins nächste Krankenhaus zum Checkup. Nachdem klar ist, dass Juli sehr viel Glück gehabt hat, setzen die beiden, erneut mehr oder weniger von beiden gewollt, den Roadtrip gemeinsam fort. Die beiden nähern sich auf dem Weg zwischen Ulm und Zürich nur langsam an, denn sie empfinden gegenseitig wenig Verständnis, warum die andere des Lebens überdrüssig ist. Hella versucht Juli klar zu machen, dass sie erst am Anfang ihres Lebens ist, das vielleicht gerade nicht ganz einfach ist, aber noch viele positive Entwicklungen und tolle Überraschungen für sie bereithalten wird. Juli dagegen findet Hellas Entscheidung feige, mit gefälschten Krankenunterlagen sich in der Schweiz von ihrem Leben mit vielen Erfolgen klammheimlich zu verabschieden. Dass sie damit für Juli keine Argumente für ihren geplanten Freitod hat, ist Hella zunächst nicht wirklich bewusst.  Für beide wird es eine anstrengende Reise, bei der sie sich mehr als einmal wünschen, dem anderen nie begegnet zu sein. Trotzdem schaffen sie es irgendwie, sich gegenseitig zu stützen und nachhaltig in Erinnerung zu bleiben.

Der geplante Freitod der beiden Frauen ist die Grundlage und der Höhepunkt ihrer persönlichen Depression. Ronja von Rönne beschreibt in der Entwicklungsgeschichte zwischen Hella und Juli nachvollziehbar und empathisch, wie die beiden vom Alter und Lebenslauf so unterschiedlichen aber fragilen Frauen zu ihrer Entscheidung gekommen sind. Dabei gibt es  melancholische Momente, wie die Situation eines ungeplanten, unvorbereiteten Auftritts von Hella auf einem Dorf-Feuerwehrfest während ihrer Reise, bei dem Juli eine nachhaltig beeindruckende Begegnung mit einem unbekannten Mädchen auf einem Kranwagen hat, es gibt aber auch Situationen, die einer gewissen Komik unterliegen.

Für mich persönlich ist der doppelte Suizidversuch als unterhaltsamer Ausgangspunkt zu oberflächlich umgesetzt, was aber die Einbettung in eine Roadstory bedingt. Ronja von Rönne arbeitet sich mit sogenannten bissigen „Galgenhumor“, der auf mich oft „too much“ wirkt, an den zwei zerbrechlichen Frauenfiguren ab, bei denen mir im Zusammenspiel eine tiefere Reflektion fehlt und deren Story für beide (natürlich) in einem „happy End“ mündet. Dieser Roadtrip zeigt, dass jede*r aus völlig unterschiedlichen Gründen, mit völlig unterschiedlichen Lebensläufen und unabhängig vom Alter an einen Punkt kommen kann, an dem man aus seinem Leben fällt und keine Zukunftsperspektive für sich sieht. Auch wenn „Ende in Sicht“ kein Buch ist, das für mich einen Nachhall hat, vermag es vielleicht trotzdem anderen Mut machen, dass ein seelisches Tief mit Unterstützung – aber vor allem mit Arbeit an sich selbst – ein Ende nehmen und ein neuer Anfang vor einem liegen kann.

Das Cover fällt ins Auge und passt stimmig zur Story.

Sabine Wagner

 

Dieser Beitrag wurde unter Autoren, Autoren U - Z veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentare sind geschlossen.