Adam Silvera
Aus dem Englischen von Lisa Kögeböhn
Arctis Verlag, März 2022
368 Seiten, € 18,00
ab 14 Jahre
Adam Silvera, 1990 in Bronx, New York geboren und heute in Los Angeles lebend, ist ein international und in über 30 Sprachen übersetzter bekannter Jugendbuchautor für queere Themen. Bevor der Fanfiction liebende Silvera selber Autor wurde, arbeitete er als Barista, Buchhändler und Rezensent für Kinderbücher. Sein Roman „Am Ende sterben wir sowieso“ steht seit Monaten auf Platz 1 der „New York Times“-Paperback-Bestsellerliste und hat mittlerweile auch in Deutschland die SPIEGEL-Bestsellerliste erreicht. Gemeinsam mit Becky Albertalli hat er den international und auch in Deutschland erfolgreichen Roman „Was ist mit uns“ geschrieben, dessen Filmrechte 2018 verkauft wurden. Auch der vorliegende Roman soll verfilmt werden. Adam Silvera geht nicht nur offen mit seiner eigenen Homosexualität um, sondern auch mit der Erkrankung Depression, die sein Leben begleitet.
Die Hauptperson des Buches ist der 16-jährige Aaron, der in ärmlichen Umständen mit seinem Bruder Eric und seiner Mutter in einer Zweizimmerwohnung lebt. Sein Vater hat sich vor einiger Zeit daheim in der Badewanne das Leben genommen und auch Aaron hat einen Suizid versucht, weil er davon ausging, dass sein Outing gegenüber der Familie der Grund für den Selbstmord seines Vaters war. Sein Vater wollte ihn, als „Schwuchtel“ bezeichnend, aus der Wohnung werfen, was Aaron in tiefe Scham und Verzweiflung stürzte und er keine Lebensperspektive mehr sah, obwohl seine Mutter zu ihm hält und ihn unterstützt. Als Genevieve ihn fragt, ob er mit ihr zusammen sein will, bekommt Aaron wieder Boden unten den Füßen und Lebensfreude. Genevieve lebt, seitdem ihre Mutter bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, mit ihrem Vater ein paar Blocks Downtown, der sich allerdings wenig um sie kümmert. Aaron wie seine Freundin teilen beide das Leid des tragischen Verlustes eines Elternteils, was sie miteinander verbindet. Durch einen Zufall trifft Aaron während eines Spiels mit seiner Block-Clique auf Thomas, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hat. Als Genevieve kurze Zeit später für drei Wochen während der Sommerferien für drei Wochen ein Kunstseminar besucht, freundet sich Aaron mit Thomas an, der ihn auf Anhieb fasziniert hat, ohne dass er hätte sagen können, warum. Je mehr die beiden miteinander unternehmen und sich unterhalten, merkt Aaron, dass er mehr als nur Freundschaft für Thomas empfindet. Als es zu einer sehr vertraulichen Situation kommt, erklärt Thomas, dass er nicht auf Jungs steht und eindeutig hetero ist. Für Aaron ein Schlag in doppelter Hinsicht. Erst einmal die Erkenntnis, dass er wirklich schwul ist, obwohl er das seit längerem geahnt und dennoch mit Genevieve immer wieder verdrängt hat, und dann die Tatsache, dass der Junge, in den er sich wirklich tief verliebt hat, nicht schwul ist und ihn abweist.
Auch wenn Thomas weiterhin sein bester Freund sein will, verzweifelt Aaron erneut an dieser Abweisung. Er glaubt es nicht ertragen zu können, Thomas nur als „Freund“ zu begegnen. Für ihn gibt es nur eine Lösung: Der Gang zum Leteo-Institut, die mit einer neuen revolutionären Neurowissenschaft Gedächtnisanpassungen und Erinnerungsunterdrückung versprechen zu helfen. Aaron kennt sogar jemanden aus seiner Clique, der sich diesem Eingriff bereits erfolgreich unterzogen hat, um ein furchtbares Geschehen zu vergessen. Da Aaron noch nicht volljährig ist, braucht er, neben einigen Vorbesprechungen auch die Einwilligung seiner Mutter. Schweren Herzens willigt sie ein, doch der Eingriff verläuft nicht so, wie erhofft und Aaron muss sich für sein Leben neu aufstellen.
Adam Silvera verbindet in dieser Story geschickt Science-Fiction-Elemente mit der realen Welt und der Einbettung unterschiedlicher Themen wie Selbstmord, Verlust, Familie, Armut, aber natürlich auch Sexualität und ein Coming Out. Bevor ich in die Geschichte wirklich reingekommen bin, hat es allerdings zu viele Seiten gebraucht. Es wurden immer wieder ausschweifend, und für mich irgendwann nervend, Spiele und deren Regeln erklärt, in die sich die Block-Clique zum Zeitvertreib vertiefen und wird sich gähnend langweilig in unbedeutende Kleinigkeiten verloren. Obwohl Aaron in der Ich-Person erzählt, blieb dieser bei mir auf merkwürdige Weise auf Distanz, was sicher auch daran lag, dass ich einige emotionale Beschreibungen seiner Gefühlsachterbahn und Handlungen nicht wirklich nachvollziehen konnte. Es hätte der Story besser getan, mehr Tiefe in die Figuren zu geben, insbesondere bei Aaron, statt den Oberflächlichkeiten so viel Raum zu geben. Adam Silvera nimmt sich zu vielen schwergewichtigen Themen an, die jede für sich eine Berechtigung in den Figuren haben, sich aber dennoch letztlich verlieren. Die Sprache mag vielleicht Jugendliche ansprechen, literarisch ist sie jedoch leider ohne jeden Anspruch. Da wird im Jugendjargon unter anderem so oft auf die Schulter und gegen die Schulter geboxt und fistbumps ausgeteilt, dass man schon vom Lesen blaue Flecken bekommt. Mit der Science-Fiction-Einbindung des Leteo-Instituts und der Möglichkeit der Gedächtnisanpassung mag auch die Verwandlung der ehemaligen Babysitterin erklärbar sein, für mich wirkte sie hergeholt konstruiert.
2015 erschien im englischen Original erstmals „More Happy Than Not“ und endete damals mit auf Seite 363 des jetzigen Buches, ohne die Fortsetzung und ein „so was wie Aarons Happy End“. Für mich gibt diese Weiterführung der Geschichte tatsächlich erst einen sinnvollen Schluss, auch wenn das Ende nicht unbedingt so rundum „happy“ hätte sein müssen. Aber dieses „happy end“ braucht es wohl für ein amerikanisches Schlusswort.
Auch wenn „More Happy Than Not“ ein Bestseller der New York Times ist und in die engere Auswahl für den Lambda Literary Award for Children`s und viele anderen „Best of“-Listen aufgenommen wurde, ist es für mich nicht der überzeugendste Roman von Adam Silvera.
Für das Fazit des Buchs, dass man so, wie man ist und liebt, nicht mit Auslöschung und Unterdrückung verändern, sondern den klaren, eigenen Verstand mit seinem Herzen sprechen lassen sollte, hätten weniger langatmige, unwichtige Beschreibungen und dafür tiefgründigere Figuren mehr überzeugt.
Sabine Wagner