Christian Huber
dtv, 11.03.2022
400 Seiten, € 18,99
Es gibt Bücher, da möchte man eigentlich nicht so viel über den Inhalt schreiben, denn damit würde man Gefahr laufen, vieles vorwegzunehmen, sondern einfach nur empfehlen, „bitte lesen“. Mit Christian Hubers Roman „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ möchte ich genau das tun.
Die Geschichte spielt an einem einzigen Tag, dem 31. August 1999. Es sind Ferien in Bodenstein, einem kleinen Kaff irgendwo in Bayern. Wenn der 15-jährige Pascal, von allen nur „Krüger“ genannt, seine Zeit nicht schlafend zuhause verbringt, hängt er mit seinem Freund Viktor ab: im Skaterpark, zockend an Spielekonsolen im Drogeriemarkt oder im Dorf gemeinsam Werbeblättchen austeilend.
Früher war Pascal ein sehr guter Schwimmer und hat den Sommer geliebt, doch seitdem er nicht mehr schwimmen kann, kann er auch dem Sommer nichts mehr abgewinnen. Während seine Mitschüler*innen sich verlieben, hat Pascal für sich beschlossen, dass er sich niemals verlieben will. Dafür träumt er lieber und schreibt heimlich in seinem Notizbuch erfundene Geschichten auf. Pascal ist wie Viktor ein Außenseiter, beide aus unterschiedlichen Gründen, die sich füreinander gefunden haben.
Als sie wieder einmal in ihrem Lieblingsgeschäft zocken, wird ein Mädchen beim Diebstahl eines angesagten Nokia-Handys erwischt und die beiden rutschen unfreiwillig in diese Tat mit rein. Sie verfolgen das geheimnisvolle Mädchen, das mit einem Wanderzirkus in Bodenstein gastiert. Mit ihren roten Haaren, wasserblauen Augen und der Tatsache, dass sie vor nichts Angst zu haben scheint, fasziniert sie Pascal. Dass sich auch Jacky von Pascal angezogen fühlt, beobachtet Viktor zwischen Eifersucht und Gleichgültigkeit.
Als die Drei sich selbst zu einer Party bei den angesagtesten Mädchen des Dorfes mit einem ziemlich schief laufenden Gastgeschenk einladen, wird Viktor alles zu viel, er setzt sich ab und lässt Jacky und Pascal dort nach einem folgenschweren Erlebnis mit den halbseidenen, mit Gras dealenden „Hunnen“ hängen. Und auch wenn Pascal sich bemüht hat, es zu verhindern, verliebt er sich in Jacky. Die beiden erleben an diesem 31. August 1999 einen abenteuerlichen und verhängnisvollen gemeinsamen Tag, der beide für immer verändern wird. Es ist dieser einzige, heiße Sommertag, der eine Freundschaft, eine Liebe entstehen lässt, der sie beide durch ihre Vergangenheit verbindet und keiner der beiden den anderen für den Rest des Lebens vergessen lässt.
Christian Huber hat eine fesselnde, großartige Geschichte über das anstrengende, schwierige Erwachsenwerden geschrieben, die gespickt ist mit vielen bekannten und fast vergessenen Details sowie dem Sound der Neunziger Jahre. So unterschiedlich Pascal und Jacky sind, man schließt sie auf Anhieb ins Herz. Huber beschreibt behutsam die Gefühle von Unsicherheit, Angst, Zweifel, mit der jede/r in der Pubertät und Adoleszenz kämpft. Das macht er so großartig, dass man sich in diesen Kämpfen wiedererkennt, egal, ob man sie in den Achtziger oder Neunziger Jahren erlebt hat oder heute. Ganz sachte lässt er den klar erzählenden Pascal sich öffnen, er baut mit einem raffinierten Spannungsbogen die Enthüllung seines Geheimnisses auf und man hofft und bangt bis zum Schluss mit ihm.
Es hängt eine melancholische Atmosphäre fernab jeder Sentimentalität über diese tiefgründige, facettenreiche Geschichte eines Sommertages, die von Freundschaft, der ersten großen Liebe und letztlich auch über einen Tod handelt.
Und trotzdem hinterlässt der Autor durch Pascal mit seinem letzten Satz eine wohlig-warme Stimmung voller Hoffnung:
„Jedes Ende ist ein neuer Anfang, denke ich. Und die Möglichkeiten sind unendlich.“
Der Roman ist in der Erwachsenen-Belletristik eingeordnet, aber auch durchaus für Jugendliche empfehlenswert und in dem von den Verlagen erfundenen Genre „all age“ zugehörig.
Das Cover spiegelt in seiner Klarheit und zarten Farben den Sommer und die Geschichte treffend wieder.
Sabine Wagner