Die neue Wildnis

Diane Cook

Aus dem Amerikanischen von Astrid Finke

Heyne Paperback, Mai 2022

544 Seiten, € 16,00

 

 

 

Amerika irgendwann in der Zukunft. Die Menschen in den zu großen Städten sind durch Müll, Smog und zu wenig ausgleichender Natur krank geworden. Dazu gehören auch die kleine Agnes, ihre Mutter Bea und ihr Lebensgefährte Glen. Agnes ist lebensbedrohlich erkrankt und die Luft und Umgebung in der Stadt würde ihre Lebenszeit deutlich verkürzen. Somit entschließt sich die Familie sich dem Experiment der Regierung anzuschließen und mit zwanzig anderen Gleichgesinnten in einem Wildnis-Staat zu leben und versuchen zu überleben. Nach außen wird dieses Projekt als Forschungsprojekt verkauft, bei dem die Probanden beobachtet werden sollen, wie sie mit der Natur und ihren Ressourcen interagieren. Doch die meisten der Teilnehmer wissen nur sehr wenig von Natur und noch weniger verbindet etwas mit der Wissenschaft verbindet. Sie werden von Ranger unvorbereitet mit einem Transporter in die Wildnis abgesetzt, bekommen ein Handbuch mit allen Verboten und per Karte ein Ziel gesetzt, dass sie, möglichst innerhalb einer vorgegebenen Zeit, erreichen müssen.

Den roten Faden der Geschichte bildet Agnes, deren Heranwachsen zur jungen Frau in der Wildnis man als Leser*in begleitet und die sich nur an einzelne Situationen als Kind in der Zivilisation erinnert. Um sie herum wird die Gemeinschaft ihrer kleinen Familie sowie allen anderen Frauen, Männer und Kinder dargestellt, die alle in die Wildnis gegangen sind, weil sie in der Stadt aus unterschiedlichen Gründen keine Perspektive mehr hatten und wohl als Außenseiter zu betrachten sind.

Es hat weitaus mehr als 100 Seiten gebraucht, bis ich einen bemühten Zugang zu diesem Forschungs-Experiment bekam. Denn auch der langatmige Handlungsaufbau mit einer simplen Sprache und kurzen Sätzen, dennoch teils überraschend anschaulichen Naturbeschreibungen, erinnert an ein Schreibexperiment. Mit immer wieder neuen Vorgaben lässt die Autorin die Gruppe unter autoritärem Befehlston der Ranger weiterziehen, was irgendwann unglaubwürdig erscheint, die Gründe hierfür bleiben offen. Was genau in der Stadt/Zivilisation in der Zeit passiert, inwieweit sie sich verändert, bleibt weitestgehend unausgesprochen, obwohl der Ort immer wieder angerissen wird. Man begleitet die Gruppe gefühlte weitere unendlich lange Jahre durch die Natur, Agnes muss einen unvorbereiteten Verlust verarbeiten und irgendwann treffen sie auf eine neue Gruppe. Somit sind sie die selbst ernannten Originalisten und hadern natürlich erst einmal mit den Neulingen, die mit weißen Spitzensöckchen und schicken Klamotten mit den Wildnis-Erfahrenen und der Natur an sich zu kämpfen haben. Um irgendwann noch einmal einen Spannungspunkt zu setzen, taucht ein einzelner Rebell auf, der zu einer Rebellen-Gruppe gehören soll.

Ab diesem Punkt ist das sehr zarte Band zerrissen, dass ich bis dahin mühsam zu dieser Geschichte aufgebaut habe. Zu keiner der Figuren, nicht einmal zu der Hauptfigur Agnes, konnte ich während der knapp 480 (von 538) gelesenen Seiten eine Beziehung aufbauen und keine erschien mir in irgendeiner Weise ansatzweise sympathisch. Die Story, auch wenn ich sie wohlwollend als „Experiment“ betrachte, in der man sich bemüht, soziale,  gesellschaftliche Strukturen, Veränderungen unter den ungewöhnlichen Bedingungen darzustellen, gleicht einer nicht aufhörend wollenden Spirale, die sich auf dem Weg nach oben, bzw. zum Ende, mit unendlichen Wendungen nur um sich selbst dreht, aber weder in der Handlung weiterkommt, noch den Figuren eine Tiefe gibt. Dabei ist die dystopische Grundidee interessant und hat an der ein oder anderen Stelle sogar ihren Reiz, die mich nach vielen Lesepausen dann doch immer wieder zu diesem Buch greifen ließ, doch überzeugen konnte sie mich nicht. Somit bleibt mir das Ende vorenthalten, hoffe aber sehr, dass es nicht nach dem amerikanischen „Happy End“-Prinzip „back tot he roots“ in der Zivilisation endet.

Für mich erstaunlich, war dieses Buch 2020 für den Booker Prize nominiert.

Sabine Wagner

 

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