Sisi

Karen Duve

Galiani, Berlin, 22.09.2022

417 Seiten, € 26,00

 

 

 

 

Jetzt ist es wieder soweit: Weihnachtszeit ist Sisi-Zeit.                                                    Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich der Todestag von Sisi im kommenden 2023 zum 125. Mal jährt, dass es aktuell eine Flut von neuen Romanen und Filmen über das Leben der ehemaligen Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn gibt. Auch die Schriftstellerin Karen Duve hat sich mit dem Charakter der schillernden Sisi auseinandergesetzt, dabei aber nicht das Bild des süß-kitschigen Bildes übernommen, das aus den Filmen der 50iger Jahre bekannt ist und sich in vielen Köpfen festgesetzt hat. Die Autorin beleuchtet das Leben von Elisabeth ein Jahr lang von 1876 bis 1877, an dessen Ende die Kaiserin 40 Jahre alt wird. Auf eine stringente Handlung verzichtend fächert Karen Duve mit einem neutralen Blick und unterschiedlich langen Kapiteln aus wechselnden Perspektiven (z.B. der Hofdame Marie Festetics oder ihrer Vorleserin Ida von Ferenczy, Sisis Kinder, ihrer Nichte Marie Wallersee und anderen Familienmitgliedern, ebenso Angehörige des Hofes) den ambivalenten Charakter von Sisi auf. Obwohl die Autorin den Einblick in Elisabeths Leben nach einem Jahr lang kurz vor Weihnachten 1877 beendet, erschien mir der Schluss zu abrupt, da mir offenbar letztlich doch ein roter Handlungsfaden, eine Grundhandlung fehlte. Man merkt zwar den Erzählungen eine sehr umfangreiche und akribische Recherchearbeit (am Ende des Buches gibt es Quellenangaben von vielen Seiten) an und es werden viele Zitate von Weggefährten eingebettet, dennoch war genau das mir zuweilen zu detailliert und überfrachtend, wenn an vielen Stellen jeder goldene Knopf oder Paillette und jeder Federbuschel an Kopfbedeckungen in Farbe und Form ein Detail beschrieben wurden. Es mag vielleicht ein wenig zu kritisch sein, aber ich hatte das Gefühl, dass die Autorin versuchte, die prachtvolle Ausstattung von Kleidung und Schmuck mit Worten so genau abzubilden, was bei einem opulenten Kostümfilm dem Auge visuell leichter fällt.

Karen Duve erzählt mit kurzen, knappen Sätzen, an dessen trockenen Ton ich mich erst einmal gewöhnen musste. Mit jedem gelesenen Kapitel wurde aber ihr lakonischer Humor mit einer feinen Ironie deutlicher, mit dem die Schriftstellerin Elisabeth und ihre Persönlichkeit untermalte bzw. hervorhob.

Sisi war demnach eine zerrissene Persönlichkeit, die enorm auf ihr äußeres Aussehen mit einer 1,50 Meter langen Haarpracht achtete und sich ihrer natürlichen Schönheit durchaus bewusst war, die sie intensiv pflegte oder pflegen ließ. Sie aß sehr wenig, machte Diäten, ließ sich in Kleider einnähen, da dies ihre schlanke Figur betonte und bewegte sich sportlich, wann immer es ging – eine selbstzerstörende Obsession, die heute „en vogue“ ist. Sisi genoss und forderte es, dass nicht nur die Menschen an ihrem Hof ihrer Schönheit verfallen waren und sie wusste genau, dies für sich einzusetzen.

Die Kaiserin von Österreich liebte Pferde über alles und war regelrecht besessen von ihnen. Als extrem gute Reiterin entfloh sie mit waghalsigen und wilden Reitjagden den strengen und steifen Konventionen, denen sie als Kaiserin und Königin entsprechen musste. Wann immer es ging, nahm sie an lebensgefährlichen Parforcejagden teil, um dem Hofleben und ihren offiziellen Aufgaben zu entkommen. Je gefährlicher die Ausritte waren, desto glücklicher und freier fühlte sie sich, damit erritt sich Sisi den Ruf zu einer der besten Jagdreiterinnen ihrer Zeit. 

Dieser Aspekt und die Aufgabe, ihrer 18-jährigen Nichte Marie Wallersee das feine Benehmen und die Etikette am Hofe beizubringen, sind die beiden Kernthemen, um die sich die meisten Kapitel drehen. Marie, die ebenfalls eine sehr gute Reiterin ist, lernt schnell, den Regeln und Vorgaben in höfischen Kreisen zu entsprechen und als attraktive junge Frau ist sie keinem Flirt abgeneigt. Das bedeutet für Sisi eine kränkende Konkurrenz und mit intrigantem Verhalten bestimmt sie für Marie einen Ehemann, der die beiden fast in eine Katastrophe geführt hätte. Sisis eigene Liebeleien und angedeutete Affären weiß sie gut zu vertuschen, bedient sich auch hier gerne hinterhältiger Methoden.

Der Autorin gelingt es auf ihre Weise hervorragend, Sisi nicht nur mit ihrer lieblichen Schönheit und anmutigen Faszination zu präsentieren, die sie zweifellos besaß, sondern auch den ambivalenten Charakter und die Persönlichkeit einer unglücklichen, zerrissenen Frau zu zeigen, die sich durchaus ihrer Macht bewusst war, sie benutzte und andere Menschen damit manipulierte. Sisi kämpfte mit Depressionen, brauchte die exzessiven Jagdausflüge um sich zu fühlen und ein Stück Freiheit außerhalb des strengen höfischen Rahmens zu haben. Vielleicht liegt es daran, dass ich keine Beziehung zu Pferde und Pferdesport habe, aber mir wurden diese zahlreichen Jagdausflüge an verschiedenen Orten mit gleichem Ablauf zu üppig wiederholend erzählt, was mich irgendwann langweilte.

Die Stärke dieses Buches ist die Art und Weise, wie Karen Duve mit ihrem  eigenwilligen lakonisch-ironischen Stil in der Zeitspanne eines Jahres die sehr ambivalente Persönlichkeit von Elisabeth im Alter von 39 Jahren und ihren Umgang mit ihrer Familie und Mitmenschen darstellt. Eine unausgeglichene, teils empathielose Kaiserin, die aus ihren Zwängen ein Stück Freiheit sucht und eine Zeitlang auch findet, sich aber auch ihrer Macht bewusst ist und sie zu ihrem eigenen Vorteil einsetzt.

Das Cover ist prägnant, wie das miterlebte Jahr 1876 mit Elisabeth, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn.

Wer gerne mehr als über das Jahr 1876 hinaus aus dem Leben der kitschbefreiten Sisi lesen will, dem sei an dieser Stelle das Buch „Elisabeth – Kaiserin wider Willen“ von Brigitte Hamann (Erstveröffentlichung 1982) empfohlen.

Sabine Wagner

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