Julia Schoch
dtv, 16.02.2023
192 Seiten, € 20,00
„Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich. (…) Am Anfang habe ich zu dir gesagt: Ich liebe dich. Drei Wörter am Anfang, drei Wörter am Ende. Wie es aussieht, lässt sich das Wichtigste im Leben mit sehr wenigen Wörtern sagen.“ (Zitat aus dem Buch)
Ein paar Wörter mehr als die genannten drei benötigt die Schriftstellerin Julia Schoch dennoch, um die Trennungsgeschichte (oder vielmehr die Überlegung zur Trennung) ihrer Protagonistin zu erzählen. Doch sie ergeht sich nicht in Selbstmitleid oder Anklage, dafür entblättert sie mit schonungsloser Offenheit die Entwicklung des Zusammenlebens des langjährigen Paares. Sie leben seit mehr als dreißig Jahre zusammen, die beiden gemeinsamen Kinder sind so gut wie erwachsen und geben nur noch Stippvisiten zuhause ab.
Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin, wie übrigens alle Protagonisten namenlos bleiben, steht bestürzt vor der aktuellen Situation der Beziehung zu ihrem Mann. Wie konnte sich alles so verlieren, zur Gleichgültigkeit verändern, was früher für Vertrauen, Liebe und Symbiose stand? Die Frau denkt zurück an die Zeit um den Mauerfall, als sie ihren Mann kennengelernt hat, wie rauschhaft verliebt sie war, was sie für ihn getan oder gelassen hat, was sie zurückbekam und verlor. Beide studierten, gingen ins Ausland, kehrten wieder zurück nach Deutschland. Die Kinder kamen zur Welt, der Alltag veränderte sich für beide erneut. Bei der kritischen Rückschau in die gemeinsame Vergangenheit erkennt die Erzählende Situationen und Begebenheiten, durch die ihre Beziehung Risse bekam, die im Laufe der Zeit immer tiefer und nicht angesprochen wurden.
Während der Geschichte springt Julia Schoch mit Erlebnissen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, lässt die Gedanken ihrer Erzählerin hin- und herschweifen. Dennoch gelingt es ihr mit einer klaren, direkten und dennoch auch poetischen Sprache, bei der jedes Wort an der richtigen Stelle sitzt, brillant wie faszinierend alles miteinander zu verbinden. Die Erzählerin klagt nicht an, gibt ihrem Mann nicht die alleinige Schuld an ihren Trennungsabsichten, sondern seziert mit schonungsloser Betrachtung den Alltag mit einem immer oberflächlicher, gleichgültiger und abweisend werdenden Verhalten dem anderen Gegenüber. Sie legt die eigenen Schwächen und Fehler genauso so offen, wie die des Partners, analysiert Muster in ihrem Verhalten und in ihrer Liebe.
So unterschiedlich Menschen sind, so sind auch Paarbeziehungen mit ihren individuellen Geschichten und Entwicklungen. Die Autorin beschreibt mit einer gewissen Ironie und einer tiefgründigen Leichtigkeit das Glück der Liebe, aber auch das Scheitern und sich verlieren in der langen gemeinsamen Lebenszeit. Bis zum Ende hält Julia Schoch die Spannung hoch und lässt sicher viele, die sich getrennt haben oder in der Überlegung sind, auf persönliche Weise wiedererkennen: Mit Höhen, Tiefen, Alltag, Gleichgültigkeit, Neid, Egoismus und die dadurch immer größer werdende Entfernung voneinander.
Nach dem ersten Roman der Trilogie über Lebenslinien, Liebeslinien und Liebesmuster „Das Vorkommnis – Biographie einer Frau“, präsentiert Julia Schoch nun den zweiten Teil mit „Das Liebespaar des Jahrhunderts – Biographie einer Frau“. Eine berührende Betrachtung einer langjährigen Liebe und Partnerschaft, bei der am Ende offen bleibt, ob eine Beziehung nur auf Erinnerungen weiter existieren kann oder die Beziehung gescheitert ist.
Das Cover ist stimmig und setzt sich mit dem des ersten Teil harmonisch fort.
Sabine Wagner