Der 21-Jährige, der freiwillig in ein Pflegeheim zog und von seinen Mitbewohnern lernte, was Menschlichkeit bedeutet

Teun Toebes

Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke

Knaur HC, 01.02.2023

216 Seiten, € 20,00

 

 

 

Der 1999 geborene Niederländer Teun Toebes ist ausgebildeter Altenpfleger und liebt seinen Beruf über alles. Doch nach seiner Ausbildung tauschte er seine Begeisterung gegen ein festes Schema und Abarbeiten von Aufgaben. Ein Tausch, den er von vielen Kolleg*innen kennt. Weil er aber darauf aufmerksam machen will, dass man für alte Menschen, insbesondere für an Demenz erkrankte „nicht mit Stift und Papier, sondern mit dem Herzen sorgt“, zog der junge Mann für einige Monate in ein Pflegeheim in Utrecht ein, in dem überwiegend an Demenz erkrankte ältere Menschen leben. Als gesunder und nicht als Pfleger tätiger junger Mensch, wollte Teun erfahren, was es bedeutet, in einem Pflegeheim zu leben. Seine Erfahrungen, die er dabei machte, hat er in diesem Buch zusammengetragen, in dem er sich kritisch mit dem System der Pflege auseinandersetzt und viele auf der Hand liegende äußere wie auch innere Umstände hinterfragt. Der engagierte Pfleger, der sich auch auf internationalen Konferenzen und in den sozialen Netzwerken für eine bessere Altenpflege mit zahlreichen Projekten einsetzt, kämpft für die „Menschen mit Demenz, die in ihrer letzten Lebensphase im Pflegeheim nicht mehr sie selbst sein können“.

Jede Pflege setzt voraus, dass man sich für die Perspektive der Person mit Demenz hineinversetzt.“ (S. 69)

Wie wahrscheinlich jede*r Besucher*in eines Altenheimes, fragt sich auch Teun Toebes, warum es hier beispielsweise statt einem atmosphärischen, warmen Licht meist nur grelle Neonbeleuchtung gibt, warum ständig ein Fernseher mit unerträglicher Lautstärke laufen muss, auch wenn sich keiner in der Nähe dafür interessiert, warum man an gemeinschaftlichen Tätigkeiten, wie Blumenbinden, teilnehmen muss, ohne jede Beziehung dazu, warum die Räumlichkeiten nicht in hellen, bunten Farben und mit wohnlicher Gemütlichkeit ausgestattet werden – denn es ist das letzte „Zuhause“ der Bewohner. Ebenso die Frage nach der fehlenden Motivation und damit so gut wie nicht stattfindender Bewegung der älteren Menschen in Pflegeheimen, die bis zum Eintritt in ein solches als gesund für den Körper gilt. Der extreme Bewegungsmangel hat weitreichende physische wie psychische Folgen.

Die Demenz-Erkrankung wird in den nächsten Jahren zu immer mehr Pflegeplätzen in Heimen führen – wo es, neben den kritisierten Umständen, schon heute bekannt hoffnungslos zu wenig Personal gibt. Diese Situation wird sich zunehmend dramatisch verschlechtern. „In zwanzig Jahren wird sich die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen weltweit verdoppelt haben, auch bei uns.“ (S. 143/144)

Der sympathische wie empathische Pfleger weiß, dass er nicht auf alle Fragen und Kritikpunkte befriedigende Antworten erhält, dennoch hört er nicht auf, auf die Missstände hinzuweisen und weist der Politik die Verantwortung zu, zum Thema Demenz und Pflege endlich Änderungen vorzunehmen, damit die Zukunft nicht verheerend wird.

Teun Toebes hat ein bewegendes und aufrüttelndes Buch geschrieben, dass weit über einen „Lagebericht“ in Pflegeheimen hinausgeht – und das Pflichtlektüre für jeden Politiker werden sollte. Die aufgezeichneten wunderbaren Gespräche mit den alten Damen und Herren, die für ihn Freundinnen und Freunde wurden, die ihm aus ihren Lebenserfahrungen kluge Ratschläge gegeben und aufgemuntert haben, sprechen von einer tiefen Liebe zu Menschen und Menschlichkeit. Selten hat man so liebevoll und intensiv gelesen, dass an Demenz erkrankte Menschen Freude an schönen Dingen haben, genießen können, lachen und Trauer empfinden und Teun plädiert intensiv dafür, sie an ein „normales“ Leben draußen miteinzubinden, z.B. durch gemeinsames Keksebacken mit Grundschulkindern, Vorlesetage von Kindern oder gemeinsame Grillabende mit Erwachsenen aus der Nachbarschaft. Das schafft ein realistisches Bild von Demenz und das Stigma wird abgebaut.

„Meine Hunderttausende Kollegen arbeiten in der Pflege, weil sie ein großes Herz für die Menschen haben. Lassen Sie uns also bitte dafür sorgen, dass sie ihr Herz auch einsetzen und ihre Arbeit so machen können, wie es sich gehört: mit Zeit und einem Blick für die Menschen.“ (S. 118)

Mein persönliches Fazit des beeindruckenden erzählenden Sachbuches:                      Bewegt, nachdenklich und auch angstvoll vor der Lebenssituation an Demenz erkrankt in einem Pflegeheim leben zu müssen – die, hat man nicht das Glück, einen Pfleger wie Teun Toebes an seiner Seite zu haben, meist nur wenig mit Würde und Menschlichkeit einhergeht. Noch haben wir die Hoffnung auf eine positive Veränderung – es ist weniger als fünf vor Zwölf dafür.

Sabine Wagner

 

 

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