Maylis de Kerangal
Suhrkamp, ET 15.05.2023
168 Seiten, € 22,00
Die 1967 in Toulon geborene und mit ihrer Familie in Paris lebende Schriftstellerin Maylis De Kreangal gehört zu den einflussreichsten Gegenwartsautorinnen Frankreichs. Bereits 2021 erschien der vorliegende Erzählband in Frankreich, wobei drei Geschichten in anderer Version bereits früher veröffentlicht wurden und Andrea Spingler sie für den Suhrkamp Verlag übersetzt hat.
In acht unterschiedlich langen Geschichten beschäftigt sich die Autorin mit der Kraft und Ausdrucksstärke der weiblichen Stimme. Mit variantenreicher Modularität erzählt sie davon, wie schwer es beispielsweise dem Ehemann fällt, die gesprochene Ansage seiner verstorbenen Ehefrau auf dem Anrufbeantworter zu löschen und wie unerträglich es für seine Tochter ist, bei jedem, auf den AB geleiteten Anruf die Stimme ihrer Mutter zu hören. Eine andere Geschichte handelt von einer Freundschaft zwischen zwei Frauen, in der sich bei einer Freundin das Timbre ihrer Stimme durch ein Sprechtraining für eine Arbeit beim Radio verändert, was sich auch auf die Stimmung zwischen den beiden auswirkt. Die umfangreichste Geschichte in dem Buch handelt von einer langjährigen Fernbeziehung per Telefon, die einen neuen gemeinsamen Lebensabschnitt, fernab von Paris, in der kleinen Stadt Golden am Fuße der Rocky Mountains erleben soll. Doch nachdem sich das Paar eine lange Zeit nur per Telefon, respektive Stimme, mit räumlicher Distanz ausgetauscht hat, und insbesondere die Frau sich nach Liebe und Nähe sehnt, spürt sie genau diese trotz des nun gemeinsamen Lebens nicht.
Die acht Frauen mit ihrer eigenen Identitäten erzählen in warmherzigen bis kühlen Modus aus ihren unterschiedlichen Leben. In allen Geschichten geht es darum, welchen Einfluss die facettenreiche Kraft der Stimme eines Menschen auf sein Gegenüber und Beziehungen haben kann. Auch wenn sich mir nicht alle Geschichten mir erschlossen haben, beispielsweise durch ein abruptes Ende, präsentiert die Autorin in feiner, facettenreicher Sprache aus unterschiedlichen Perspektiven ein ungewöhnliches Thema.
Sabine Wagner