Lichte Tage

Sarah Winman

Aus dem Englischen von Elina Baumbach

Klett-Cotta, 18.02.2023

240 Seiten, € 22,00

 

 

 

Oxford, Mitte der Neunziger Jahre. Ellis, Mitte Vierzig, hat vor fünf Jahren die wichtigsten Menschen durch einen Autounfall verloren: Seine Frau Annie und seinen, wie  gemeinsamen besten Freund Michael. Ellis arbeitet in einer Autofabrik und ist Spezialist für das Ausbeulen von kleinen Dellen, für das man sehr viel Feingefühl benötigt. Doch nicht nur für Beulen und Dellen hat Ellis das nötige Feingefühl, er ist auch darüber hinaus ein sensibler, emphatischer Mann. Seit dem Tod seiner Liebsten hat er sich immer mehr von der Außenwelt zurückgezogen, macht Nachtschichten, um sich von schlaflosen Stunden abzulenken. Ellis rutscht mit Erinnerungen an vergangene Zeiten immer mehr in eine Depression.

Für seine Mutter Dora hatte eine gedruckte Kopie eines Gemädes mit einer Wiese voller Sonnenblumen von Vincent van Gogh eine ganz besondere Bedeutung. Diese außergewöhnliche Bedeutung des bei einer Tombola gewonnenen Bildes hat Ellis nie verstanden. Seine Mutter starb an Krebs, als er 15 Jahre alt war, so blieb diese Frage für immer unbeantwortet. Ellis zeichnet und malt leidenschaftlich gerne und muss Dora kurz vor ihrem Tode versprechen, dass er die Schule beendet und mit seiner Kunst weitermachen wird. Doch Ellis Vater hat andere Pläne und steckt ihn noch vor Beendigung seiner Schulzeit in eine Ausbildung in der Autowerkstatt, in der auch er arbeitet. Nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit seinem Vater nimmt ihn Mabel auf, bei der auch Michael seit seinem zwölften Lebensjahr nach dem Tode seiner Eltern lebt. Mabel hat einen kleinen Laden im Ort, in dem Ellis und Michael leben und so kennen sich die beiden Jungs schon seit ihrer Kindheit, in der sie zu besten Freunden wurden. Ellis Mutter war auch für Michael neben der deutlich älteren Mabel eine Art Ersatzmutter, die den beiden Jungs versucht, in ihrem, alles andere als einfachen Leben und Umständen ein wenig von der strahlenden Leichtigkeit aus dem Sonnenblumen-Bild von Van Gogh weiterzugeben.

Für Ellis und Michael entwickelt sich aus der ehemals Jungen-Freundschaft mehr, sie finden sich und ihre Körper gegenseitig anziehend. Während eines Sommerurlaubs in Südfrankreich können sie sich zum ersten Mal frei und unbeobachtet ihrer gegenseitigen Liebe hingeben. Während Michael sich vorstellen kann, mit Ellis in Frankreich zu bleiben und dort gemeinsam ihr Leben neu aufzustellen, hat Ellis Angst vor diesem Schritt – die auch ein Zugeständnis seiner Homosexualität bedeuten würde. Beide kehren nach Oxford in ihren Alltag zurück. Als Ellis Annie kennenlernt, sich in sie verliebt und die beiden heiraten, wird Michael auch der beste Freund von Annie. Es entspinnt sich ein immer schwieriger werdendes Freundes- und Liebesdreieck, aus dem Michael irgendwann ausbricht. Von heute auf morgen verschwindet er aus dem Leben von Ellis und Annie und jahrelang wissen die beiden nicht, wo er ist und ob er überhaupt noch lebt. Eines Tages taucht er wieder bei ihnen auf. Jeder von ihnen hat sich verändert und doch knüpfen alle Drei fast mühelos wieder an dieser liebevollen, engen Freundschaft an.

Während der erste Teil des Buches aus Ellis Perspektive erzählt wird, wird der zweite Teil durch ein Buch mit gesammelten Notizen und Gedanken von Michael ergänzt, das Ellis nach dessen Tod gefunden hat. Ellis wird damit in eine Zeit zurückversetzt, die von ihrer gegenseitigen tiefen Liebe erzählt, aber auch von Gedanken und einem Leben von Michael, das seinem besten Freund bis dahin unbekannt war. Ellis taucht mit diesen ganz persönlichen Aufzeichnungen seines verstorbenen besten Freundes wieder behutsam an die Oberfläche seines eigenen Lebens, das er nun neu ausrichten will. Geholfen haben ihm aus den Aufzeichnungen und Erinnerungen die jetzt offenbarte Erkenntnis, welche strahlende Kraft das Bild von Van Goghs Sonnenblumen für seine Mutter hatte.

Die Geschichte über ein enges Freundschafts- und Liebesdreieck der drei Protagonisten von Sarah Winman, die aus dem Englischen von Elina Baumbach übersetzt ist, kommt erstaunlicherweise bei gegenseitiger Zuneigung ohne erkennbare Eifersucht aus. Damit balanciert sie auf dem schmalen Grat einer unglaubwürdigen wie kitschigen Story, auf dem sie aber erstaunlich und erfreulicherweise nicht abrutscht. Das mag vielleicht genau daran liegen, dass die Autorin eben nicht das Narrativ der beliebten Vorstellung eines Liebesdreiecks bedient, sondern sich mit der Liebesbeziehung zwischen Ellis und Michael davon abhebt. Auch wenn die Eifersucht zwischen den Dreien nicht spürbar ist, bleibt die Beziehung nicht ohne Probleme und Krisen, insbesondere zwischen Ellis und Michael.

„Lichte Tage“ von der 1964 in Essex geborenen Theater- und Fernsehschauspielerin und Autorin Sarah Winman, ist ein in einer dezent „gefühligen“ Sprache erzählter berührender Roman, der von Abschieden,  von unterdrückter, verdrängter Liebe und Lust, vom Zwang, sich gegen seine Gefühlen traditionellen Rollen unterzuordnen, von Traumata und Scham, aber auch von Loslösung und Heilung erzählt. Es liegt ein durchweg traurig-melancholischer Ton über den Rückblick in die Vergangenheit, trotzdem gibt es am Ende für Ellis einen pathosfreien, hoffnungsvollen Ausblick auf „lichte Tage“.

Ein perfektes Cover, das an die Sonnenblumen von Vincent van Gogh erinnert, rundet diesen traurigen wie strahlenden Roman wunderbar ab.

Sabine Wagner

 

 

 

Dieser Beitrag wurde unter 4 Bücher, Autoren, Bestenliste veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentare sind geschlossen.