Mehrnousch Zaeri-Esfahani
Peter Hammer Verlag, Januar 2016
148 Seiten, € 14,90
ab 12 Jahren
Bücher über dramatische und traumatische Erlebnisse von Flüchtlingen haben auch die Kinder- und Jugendbuchverlage seit einiger Zeit für sich entdeckt. Ob das sinnvoll ist, werden die Verkaufszahlen belegen. Die Masse der nicht abreißenden Neuerscheinungen lässt nicht selten die Quantität hinter der Qualität stehen und ob man dieses Thema immer und immer lesen möchte, ist auch fraglich.
Mehrnousch Zaeri-Esfahani gelingt es mit ihrer autobiographischen Familiengeschichte sich hier erfreulich abzuheben.
Eingebettet ist sie einem Pro- und Epilog, der an den Atomsupergau vom 26. April 1986 in Tschernobyl, unweit des kleinen Städtchen Pripjat erinnert. Die Jahrhundertkatastrophe geht an Mehrnousch völlig vorbei, denn sie bemüht sich gerade zu der Zeit in der neuen Schule in Heidelberg sich einzufinden.
Die kleine Mehrnousch verbringt die ersten Jahre ihrer Kindheit mit ihren Geschwistern in Isfahan, einer Stadt im Iran, als Tochter eines Chirurgen. Auch wenn sie noch klein ist, bekommt sie als Fünfjährige die dramatischen Veränderungen durch die Vertreibung des Schahs und des neuen brutalen Herrschers Ayatollah Chomeini im gesellschaftlichen und politischen Leben mit. Sie sieht mit Angst, wie der neue Diktator mit Hass die Menschen unterdrückt und sie mit sinnlosen Gesetzen und Regeln gängelt und der Freiheit beraubt. Kinder werden als Soldaten zum Entschärfen von Mienen eingezogen und kommen dabei grausam zu Tode. Als einer ihrer Brüder in den Krieg eingezogen werden soll, beschließt die Familie zu fliehen. Sie lassen ihr gesamtes Hab und Gut in Isfahan und nur mit ein paar Koffern reisen sie in die Türkei, ihre erste Station einer langen Flucht. Dort gibt es keine positive Entwicklung für sie und es geht weiter nach Ostberlin. Wieder müssen sie alles Aufgebaute und lieb gewonnene hinter sich lassen und wieder geht es nur mit ein paar Gepäckstücken weiter. Doch auch Ostberlin ist nur eine Zwischenstation, es geht weiter nach Westberlin, gefolgt von weiteren Aufenthalten in verschiedenen Flüchtlingsheimen, bis Mehrnousch mit ihrer Familie in Heidelberg ankommt und endlich eine Bleibe und Ruhe findet. Jetzt ist sie elf Jahre alt, hinter ihr liegen mehr als fünf Jahre Flucht und die Suche nach Halt und Heimat. Während die Welt entsetzt nach Tschernobyl schaut und die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe noch gar nicht ermessen kann, versucht Mehrnousch in ihrer neuen Schule, kaum Deutsch sprechend, ihren Platz zu finden.
Der Autorin ist es wunderbar gelungen, in einer klaren, feinen Sprache ihre unbeschwerte und privilegierte Kindheit zu erzählen. Sie lebt mit ihrer behüteten Familie in der wunderschönen Stadt Isfahan, in der die Dreiunddreißig-Bogen-Brücke als eine von vielen den Fluss Gav Khuni überspannt und auf der Teehäuser nicht nur Verliebte zum Verweilen einladen. Ohne aufgesetzte Dramatik beschreibt sie die furchtbaren Jahre der Entbehrungen, Ängste und Verzweiflung während ihrer langen Flucht. Vielleicht liegt es gerade daran, dass sie so schlicht und dennoch so nachhallend von den für uns unvorstellbaren Erlebnissen der jahrelangen Flucht und der verzweifelten Suche nach Halt erzählt. In der Türkei wäre das Mädchen gerne geblieben, doch hier musste sie wieder weg, da es hier keine positiven Perspektiven gab. Während sie fließend türkisch spricht, kann sie kein Wort Deutsch, als sie in Heidelberg in die Schule kommt.
Eine türkische Mitschülerin hilft ihr in der ersten Zeit, doch bald muss Mehrnousch feststellen, dass sie sich auf die deutsche Sprache einlassen muss, um ganz integriert zu werden. Berührend beschreibt die Autorin die Suche nach Halt und Heimat und das Gefühl der Sprachlosigkeit aber auch die Freude darüber, anzukommen und aufzuleben.
Ihr Nachname Zaeri-Esfahani bedeutet übersetzt „Pilger aus Isfahan“ – und so sieht sie sich auch – als Pilgerin, deren Pilgerweg war und ist, Freiheit und Frieden zu finden – was man ihr und alle anderen Suchenden von Herzen wünscht.
Ein unauffälliges und trotzdem gefälliges Cover für eine nachhallende, autobiografische Geschichte über eine lange Flucht in einer einfachen und trotzdem schönen Sprache erzählt.
Sabine Hoß
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