Rechts blinken, links abbiegen

Dorthe Nors

Aus dem Dänischen von Frank Zuber

Kein & Aber, 2016

192 Seiten, € 20

 

 

 

 

Sonja ist Mitte Vierzig, lebt als Übersetzerin vornehmlich für Krimis in Stockholm und ist Single. Sie will endlich den Führerschein machen, damit sie unabhängiger und mobiler wird, zumindest was die Fortbewegung auf vier Rädern angeht. Persönlich scheint Sonja nämlich nach ihrem Befinden seit einiger Zeit still zu stehen.

Nach einer unglücklichen Liebe ist sie Single, was sie lange genossen hat, sich aber mehr und mehr nach einer neuen Liebe und Partnerschaft sehnt. Zu ihren Eltern, die auf dem Land leben, hat sie nur sporadisch Kontakt. Mit ihrer Freundin ist sie als Jugendliche aus der ländlichen Enge von Jütland zum Studium in die Großstadt gezogen, was die Eltern nie wirklich verstanden und ihr auch nie ganz verziehen haben. Sonjas Schwester lebt immer noch auf dem Land und hat Mann und Kinder. Gerne hätte Sonja zu ihr ein enges Verhältnis und öfter Kontakt, doch Kate lässt sich gerne bei ihren Anrufen verleugnen oder gibt vor, gerade ungünstig an der Kasse, beim Einkauf im Supermarkt oder sonst wo zu sein, wo sich ein privates Telefonat nicht in Ruhe führen lässt. Sonja ist traurig über diesen Zustand, den sie sich auch nicht erklären kann, da sie sich keinen ernsthaften Streit in Erinnerung rufen kann. Allerdings wurde ihre Schwester von ihren Eltern vorgezogen und Sonja gerne als Vorbild in verschiedenen Situationen präsentiert. Sonja gilt als ein wenig „kompliziert“, was sie selbst durchaus erkennt und manchmal auch zurückziehen lässt. Doch jetzt, Mitte Vierzig will sie es noch einmal wissen, den Führerschein machen und vielleicht doch noch die große Liebe finden. Leider erweist sie sich als Fahrschülerin als völlig untalentiert und setzt sich auch hier unter Druck. Ihre Fahrlehrerin besitzt großes Talent, die Unsicherheit und Angst von Sonja beim Fahren, insbesondere beim Schalten der Gänge mit ununterbrochenem Gerede und ständig harschen Befehlen zu untermauern. Irgendwann hat Sonja den Mut und wechselt den Fahrlehrer, der jetzt männlich ist und ihre Fahrversuche haben endlich Erfolg. Doch Sonja hat das Gefühl, dass ihr der schon etwas in die Jahre gekommene Fahrlehrer Avancen macht, was zu einem neuen Konflikt führt.

Dreht sich denn ihr Leben mit stetig neuen Problemen immer nur im Kreis und wird sie nie den richtigen Gang finden?

Sonjas plagende Gedanken haben bei Frauen in ihrem Alter und auch etwas älter sicher Wiedererkennungswert: Wo stehen wir, wohin wollen wir noch und manchmal auch die Verzweiflung über den (vermeintlichen) eigenen Stillstand. Für manches ist es zu spät, anderes lässt sich nicht mehr nachholen und manche Entscheidung aus der Vergangenheit lässt sich mit den Konsequenzen in der Gegenwart auch für die Zukunft nicht mehr großartig ändern. Von daher lassen sich Sonjas Ängste und Zweifel wunderbar nachvollziehen. Dorthe Nors lässt ihre Protagonistin in einer klaren, ausgereiften Sprache (aus dem Dänischen hervorragend übersetzt von Frank Zuber) ihre Gedankenwelt aufblättern. Diese sind manchmal unerschrocken schonungslos, dann wieder mit feinem Gefühl und Sanftheit.  Es gibt durchaus die eine oder andere Situation, in der man Sonja sehr gerne aufrütteln möchte, aus ihrer inneren Unzufriedenheit auszubrechen und mit einer Portion Geduld und Wille etwas durchzuziehen. Manchmal hegt man auch einen leichten inneren Groll gegen die zuweilen sich auch gerne selbst bemitleidende Mittvierzigerin. Es liegt eine Melancholie über der Geschichte und einen ganz besonderen Charme, den Sonja ausstrahlt. Diese Ambivalenz ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass man das Buch nicht aus der Hand legt, weil man neugierig auf Sonjas Entwicklung ist. Denn sie entwickelt sich tatsächlich, wenn auch zaghaft und zwischen den Zeilen und es ist eine wunderbare Überraschung, welch neuer Lebensweg sich für sie am offenen Ende zeigt.

Das kleine, feine Frauen-Buch hallt nach und  legt man mit guten Wünschen und der Hoffnung für Sonja aus der Hand, dass sie den Mut besitzt, den richtigen, neuen Gang einzulegen und „ihr“ Heim zu finden.

Der Roman hat es mit fünf anderen Titel auf die Shortlist des „Man Booker International Prize 2017“ geschafft! Am 14. Juni 2017 wird das Gewinnerpaar bestehend aus Autor und Übersetzer ins Englische gewählt.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

 

 

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