Janne Teller
Aus dem Dänischen von Sigrid Engeler
Mit vielen farbigen Illustrationen von Helle Vibeke Jensen
Hanser, März 2011
Inhalt:
Die Europäische Union ist zusammengebrochen, die Demokratie besteht nicht mehr und es herrscht Krieg. Doch nicht irgendwo weit weg in einem anderen Land sondern bei uns, im hier und jetzt. Die Heimatstadt liegt in Schutt und Asche, das eigene Zuhause zerstört und ausgebombt. Die engsten Familienangehörigen sind schwer verletzt, die Großeltern starben bei einem Bombenangriff. Die Angst ist ständiger Begleiter. Menschen, mit denen man bisher in vermeintlicher Eintracht zusammengelebt hat, sind jetzt Feinde geworden. Der Vater ist nach Ägypten geflohen, die Familie kommt erst später durch einen Flüchtlingstransport nach. Aber was bedeutet es nun (für einen Deutschen) ein politischer Flüchtling, ein Europäer in Ägypten zu sein? Es bedeutet eine Zeit voller Entbehrungen, Demütigungen. Ein ständiger Neuanfang ohne Grundlagen und immer mit der Angst verbunden, wieder ausgeliefert zu werden.
Rezension:
Vornweg: Das aktuelle Werk von Janne Teller ist kein Buch im eigentlichen Sinne sondern ein Essay, also ein fiktives Gedankenexperiment in kurzer Form. Rein optisch fällt dieses Essay schon einmal auf: Es ähnelt in Farbe, Format und Aufmachung einem Reisepass. Diese Idee ist originell, passend und gelungen ausgeführt. Die Illustrationen von Helle Vibeke Jensen unterstreichen auf eine klare Art und Weise den Text.
„Krieg“ beschreibt die Zustände in Deutschland nach einem wirtschaftlichen, nationalistischen Zusammenbruch der Europäischen Union und einem daraus resultierenden Krieg in der Gegenwart. Politische Flüchtlinge, die auf Asyl in einem besseren Land hoffen, erleben wir tagtäglich in den Nachrichten. Wir stehen bisher immer auf der besseren, der asylgebenden Seite. Doch wie könnte es aussehen, wenn das Blatt sich wendet, wenn WIR unser Land aus Not und Kriegsgründen verlassen müssten, was würde uns erwarten? In kurzen, klaren und sehr nüchternen Sätzen beschreibt Janne Teller ein Szenario, das wir von der anderen, der „gastgebenden“ Seite her kennen, aber sicher nicht so wahrhaben wollen. Was es für einen Menschen heißt, sein Land, seine Heimat nicht freiwillig zu verlassen und in einer völlig anderen, neuen Kultur sein Leben noch einmal ganz von vorne zu beginnen, das können wir nicht ermessen. Die Erniedrigungen, die Tatsache, nirgendwo willkommen zu sein, die Sprache nicht zu beherrschen aber auch die Rivalität der anderen geflüchteten Nationen zehren an einem friedlichen Neubeginn. Doch man darf sich nicht allzusehr wehren, denn die Angst vor einer Ausweisung ist groß. Der furchtbare Gedanke der Rache keimt langsam auf. Die Erinnerung, dass man in Deutschland mit vielen verschiedenen Nationen friedlich zusammengelebt hat, ist überholt und die Nationalität entscheidet nun nicht mehr darüber, ob man lieber eine italienische Pizza oder ein türkisches Döner essen möchte, sondern darüber, ob Dein Gegenüber Freund oder Feind ist. Man erkennt zwar ihre Intention, doch diese wird durch zu viele klischeehafte und sehr pauschal wirkende Beschreibungen und (Vor-)Urteilen über die einzelnen Kulturen sowie der oberflächlich durchdachten, fiktiven Szenarien abgewertet. Eigentlich will dieses Zukunftstrauma nicht politisch wirken, was ihm aber, vielleicht gerade aus diesem Grund, nicht gelingt. Die experimentelle Vision möchte den Blickwinkel schärfen, unser Handeln im eigenen Land den fremden Gästen gegenüber sensibel zu überdenken, denn auch wir könnten jederzeit ein fremder Ankömmling in einer neuen Kultur sein. Ob das mit neuen Klischees im Kontext zu vorhandenen gelingt?
Ein provokantes Essay, das trotzdem im Deutsch-, Geschichts- wie auch Politikunterricht jeder Schule gelesen und besprochen werden sollte, aber nicht die literarische Recherche und Tiefe von Teller`s durchaus berechtigt erfolgreiches „Nichts – was im Leben wichtig ist“ besitzt. Schade.
Sabine Hoß
Bewertung: