Mirjam Pressler
Beltz & Gelberg, März 2011
352 Seiten, € 17,95
ab 14 Jahre
Inhalt:
Hannelore Salomon, vierzehn Jahre alt, wird mit acht anderen jüdischen Mädchen von Ahrensdorf aus einer landwirtschaftlichen Ausbildung heraus nach Dänemark geschickt. Eigentlich dient die Ausbildung zur Vorbereitung für eine Auswanderung nach Palästina, doch hierfür gibt es erst einmal keine Plätze. Hannelores Mutter verdient den kargen Lebensunterhalt als Näherin, der Vater ist bereits seit Jahren tot. Hannas ältere Schwester Helene lebt bereits in Israel, daher fällt der Mutter es umso schwerer, auch ihre jüngste Tochter in die Ferne ziehen zu lassen. Sie gibt ihrer Tochter den Merksatz auf den Weg „ Ein jüdisches Mädchen darf nicht auffallen.“ Das Mädchen Mira, das Hannelore während ihrer landwirtschaftlichen Ausbildung spöttisch „Püppchen“ nennt und sich damit nicht gerade Hannelores Sympathien einhandelt, führt die Gruppe an. Als sie im Sommer in Dänemark eintreffen, verbringen sie die ersten Wochen in einem Zeltlager. Ein wichtiger Begleiter wird für Hannelore ihr Lieblingsbuch „Andersens Märchen“, das ihre Mutter ihr heimlich in den Rucksack gepackt hat. Nachdem Hannelore von einer wohlhabenden Familie in Kopenhagen aufgenommen wird, muss sie von nun an einen neuen Namen tragen: „Hanna“. Zusätzlich muss sie mit der Ablehnung der Kinder der Familie zurechtkommen. Doch nach und nach legt sich das zurückweisende Verhalten und Hanna darf die Kunst des Töpferns lernen, was sie völlig begeistert. Nachdem die deutschen Truppen Dänemark und auch Paris besetzt haben, wird es für die jüdische Gruppe in Kopenhagen zu gefährlich. Hanna wird mit ihren Freundinnen auf Bauernhöfen auf der Insel Fünen verteilt und kommt auf den Lindenhof. Zunächst ist Hanna über das abstoßende Äußere der Magd Bente erschrocken und dies macht ihr Angst. Doch bald merkt sie, wie warmherzig und liebevoll die alte Frau ihr gegenüber ist. Die Einsamkeit wird von regelmäßigen Treffen der jüdischen Gruppe unterbrochen. Die Mädchen haben sich immer viel zu erzählen und Mira ist für Hanna so etwas wie eine ältere Schwester geworden. Hanna nimmt an einem Hauswirtschaftskurs teil und lernt dort Sarah Hvid kennen, die Hanna einlädt, das jüdische Neujahrsfest 1943 bei ihr zu verbringen. Was keiner ahnt: In dieser Nacht werden dänische Juden festgenommen und mit Zügen in Konzentrationslager deportiert. Für die Familie Hvid und Hanna bedeutet das Theresienstadt. Hanna fühlt sich einsam und zerrissen, denn sie weiß nicht, was mit ihrer Gruppe geschehen ist. Als sie aus dem Zug stolpert, trifft sie wieder auf ihre Freundinnen und nichts kann sie nun trennen. Gemeinsam er- und durchleben sie die grausamen Qualen des Konzentrationslagers. Miras Parole „Aufgeben gilt nicht“ wird ein weiterer Satz, der Hannas Leben neun Jahre lang in Theresienstadt begleitet. Im April 1945 wird Hanna neben ihrer Gruppe und anderen wenigen Deportierten durch eine Rettungsaktion des schwedischen Roten Kreuzes von Theresienstadt nach Schweden überführt. Doch es vergehen noch weitere gefährliche und leidvolle Wochen, bevor endlich das Ziel Palästina erreicht ist.
Rezension:
Mirjam Pressler erzählt in Teilen in diesem Buch von ihrer langjährigen und mittlerweile verstorbenen Freundin Hanna B. Es ist aber nicht die tatsächliche Biografie dieser Freundin, sondern es ist die Geschichte eines jüdischen Mädchens, die sich so oder so ähnlich zugetragen haben kann. Es war Mirjam Presslers Anliegen herauszuarbeiten, wie ein junger Mensch, dem man die Jahre seiner Jugend mit Grausamkeiten und Qualen gestohlen hat, doch noch zu einem warmherzigen und lebensbejahenden Menschen entwickeln kann. Man kann gar nicht ermessen, wie viel Leid Hanna schon mit vierzehn Jahren durchleben musste. So viele Abschiede: Von ihrer Schwester, die schon in Palästina lebt, von ihrer Mutter, als sie nach Dänemark aufbricht, von den zahlreichen Stationen in Dänemark und die Tatsache, ihren Namen zur eigenen Sicherheit ablegen zu müssen. Die unvorstellbaren Zustände in Theresienstadt lassen Hanna nicht zerbrechen und doch ist sie im Grunde ein unsicherer, ängstlicher und nicht unbedingt willensstarker Mensch. Sie nimmt ihre Kraft aus der Gemeinschaft ihrer Gruppe, die sie schon aus Ahrendsdorf kennt. Obwohl Mira sich dort Hanna gegenüber eher spöttisch verhalten hat und sie darüber sehr enttäuscht und verbittert war, entwickelt sich Mira immer mehr zu einer Art großen Schwester und festen Halt für Hanna. Neben der eigentlichen Geschichte erzählen die fünf Hauptprotagonistinnen in separaten Kapiteln ihre eigenen Gedanken. Dadurch wird die Transparenz der Charaktere und die Nähe zu diesen Personen intensiv verstärkt. Einschübe aus Andersens Märchenwelt werden als „Sprachrohr“ für Hannas Unsicherheit, Ängstlichkeit und manchmal auch Sprachlosigkeit eingesetzt, die in ihrer Auswahl absolut treffend und tiefsinnig sind. Zwei stilistische Elemente, die hervorragend unterstreichend eingebettet werden. Mirjam Pressler schreibt in einer ruhigen, unaufgeregten aber bewegenden Sprache, die klug und mahnend, aber nicht aufdringlich belehrend ist. Als Hanna nach anderthalb Jahren qualvollem Aufenthalt in Theresienstadt zu einer kleinen Gruppe gehört, die durch das schwedische Rote Kreuz befreit wird, steht die kleine Gemeinschaft wieder vor einem Abschied, denn jede der jungen Frauen hat nun ein anderes Ziel. Hanna muss erkennen, „dass sie sich eigentlich gar nicht richtig kennen, obwohl sie so lange zusammen gelebt haben.“ Ein Satz, der mir sehr nahe gegangen ist, ist die Erklärung ihrer Freundin Rachel: „Wir haben nicht zusammengelebt. …Wir haben uns gegenseitig beim Überleben geholfen, das ist etwas ganz anderes. Vermutlich ist es sogar viel wichtiger. Wir sollten dankbar dafür sein.“ Es wäre kein Buch im Stile von Mirjam Pressler, wenn es mit einem rundum glücklichen Schluss enden würde. Den gibt es im realen Leben auch nicht oder nur ganz selten. Aber es gibt viele hoffnungsvolle Ansätze, wie sich ein Leben selbst aus den widrigsten Umständen zum Positiven entwickeln kann, was tröstlich ist.
Es ist bei diesem Roman unerheblich, was bei der Erzählung von Hanna B. real und was fiktiv ist. (Eine Zeittafel und ein ausführliches Glossar belegen gründliche Recherchen.) Wichtig ist das, was die Geschichte aus ihrem Innenleben erzählen will – und damit ist Mirjam Pressler (erneut) ein Juwel der Literatur gelungen.
Sabine Hoß
Bewertung:
Ein Interview mit der Autorin findet Ihr hier