Der Duft der Dinge – Die Geschichte eines Diebes

Silvana D`Angelo  – Antonio Marinoni

Aus dem Italienischen von Bettina Dürr

Gerstenberg, Juni 2011

52 Seiten, €  16,95

Erzählerisches Bilderbuch

 

 

Inhalt:

Der schwarz gekleidete Dieb Velluto dringt unbemerkt in das Haus von Corinne. Er beobachtet die Familie beim abendlichen Essen, dabei nimmt er alles auf: Gerüche, Unterhaltungen der Familienmitglieder und viele scheinbare Kleinigkeiten, die aber sehr viel über die Lebensgewohnheiten und Eigenschaften der Bewohner erzählen. Velluto will eigentlich nicht wirklich etwas von sächlichen Dingen stehlen. Er ist auf der Suche nach dem Duft, dem Geruch, der ihm die Erinnerungen seiner Kindheit und den Ort seines früheren Zuhauses wiedergibt.

Rezension:

Wahrscheinlich schaue mich mir Bilderbücher mittlerweile viel zu selten an. Dieses ist mir schon in der Verlagsvorschau aufgefallen, weil es für die ganze Familie empfohlen wurde und nicht zuletzt auch der interessante Titel und das ansprechende Cover machten mich neugierig. Schon auf der ersten Seite merkt man die ruhige Atmosphäre, die durch perfekt aufeinander abgestimmte Texte und Bilder das ganze Buch hindurch prägt. Hier tritt ganz vorsichtig ein Dieb durch das Fenster in ein fremdes Haus ein, begleitet vom Windzug bewegten bauschigen Vorhängen. Er ist so vorsichtig, dass das Haus ihn wie einen guten Freund begrüßen und willkommen heißen würde, könnte es sprechen. Velluto ist ein Dieb, der sich jedes Haus, das er unbemerkt betritt, vorher sehr gut auswählt. Sein verlässlichster Helfer dabei ist seine Nase, die im gewissenhaft dient und der er absolut vertraut. In dieser Geschichte hat ihn Corinne, eine Tänzerin, in das Haus gelockt. Die meist doppelseitigen Zeichnungen zeigen neben dem Raum, den Velluto gerade betritt immer mindestens ein, meist zwei Nebenräumen im Hintergrund, in denen sich die weiteren Familienmitglieder gerade bewegen, zum Beispiel beim Abendessen zusammensitzen, in der Bibliothek lesen, im Arbeitszimmer zeichnen oder sich im Badezimmer zum Schlafengehen zurechtmachen. Man lernt durch die Bilder und durch das Belauschen der Gespräche etwas über die Vorlieben der Familie und auch ein wenig über ihre Geschichte.

Alle Zeichnungen sind mit einer wunderbaren Detailverliebtheit versehen, die das Auge auf eine ruhige Weise immer neues entdecken lässt. Wir begleiten Velluto auf seinem Weg entlang eines ausgedehnten Korridors. Dabei erhält man immer nur einen kleinen Ausschnitt von den verschiedenen anderen Räumen, durch die vielen kleinen, liebevollen Feinheiten aber immer genug, um direkt zu erkennen, um welchen Raum es sich handelt, eine Küche, Bibliothek oder ein Eßzimmer. Gegenstände, die man zuvor am Bildrand einer Doppelseite entdeckt hat, werden auf Vellutos Weg auf der nächsten Seite  folgerichtig auf eine raffinierte Weise weitergeführt. Manche Möbelteile oder Kleinigkeiten in der Wohnung haben einen ausgefallenen modernen Charakter oder sind surrealistisch, andere wieder herrlich altmodisch oder klassisch. Diese bunte Mischung gibt dem Haus eine ruhige Stimmung, in die man sich gerne einlässt und sofort wohlfühlt. Die Texte ergänzen diese  Ausstrahlung, die melancholisch, philosophisch geprägt sind und daher sicher eher Erwachsene und ältere Jugendliche ansprechen. Als Velluto von dem Geist der Urururgroßmutter der Hausbewohnerin Corinne aus dem Haus vertrieben wird, vermischt sich phantastisches in die Geschichte, was aber wiederum stimmig ist. Denn Geister sind das Einzige auf der Welt, was keinen Geruch auslöst und somit Velluto nicht wahrnehmen konnte. Der Dieb muss verzweifelt in die Nacht fliehen, ohne das gefunden zu haben, was er in diesem so wohlig, glücklichen Haus so sehr erhofft hat: Den Duft des Hauses seiner vergangenen Kindheit.

Wie Velluto sind auch wir manchmal wie Diebe in der Nacht auf der Suche nach dem Duft unserer Kindheit oder Erinnerungen an eine vielleicht leichtere, unbeschwertere Zeit. Manchmal tut es weh, zu erkennen, dass es dieses „Haus“ bzw. diese Zeit nicht mehr gibt, aber die Erinnerungen daran trösten –  wenn es gelungen ist, ein wenig „Kind sein“ (nicht zu verwechseln mit „kindisch sein“!) in das Leben als Erwachsener gerettet zu haben.

„Der Duft der Dinge“ ist ein Bilderbuch voller melancholischer Poesie und vielen kleinen Geschichten, die Vergangenes mit dem Heute verbinden, wunderbaren Zeichnungen mit vielen versteckten Kleinigkeiten, in denen kleine wie große Menschen immer wieder neues entdecken werden – am besten und schönsten gemeinsam.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

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