Cornelia Funke
mit Illustrationen von Friedrich Hechelmann
Dressler, August 2011
256 Seiten, € 16,95
ab 10 Jahre
Inhalt:
Der erwachsene John Whitcroft schaut zurück in die Vergangenheit, als er mit elf Jahren auf das Internat in Salisbury, England geschickt wird, weil er sich mit dem neuen Lebensgefährten seiner Mutter nicht versteht. Er versucht wo es nur geht den „Vollbart“, wie er den Freund nennt, zu ärgern und provozieren, daher setzt die Mutter mit dem Wechsel auf das Internat einen pädagogischen Schlussstrich. John fühlt sich in Salisbury alles andere als wohl, er schwankt ständig zwischen Wut und Selbstmitleid. Eine Kombination, die die anderen bald nervt und ihn auch nicht wirklich beim Einleben hilft. Für die große und alte Kathedrale in Salisbury, die zu dem Internatsgelände gehört, zeigt John zunächst kein Interesse. In der sechsten Nacht wird John plötzlich durch Pferdegetrappel geweckt, über das er sich wundert. Als er ans Fenster tritt, entdeckt er drei Ritter, die furchtbar und schaurig ausschauen. Ein Anblick, der ihn nicht mehr loslässt. Am nächsten Morgen glaubt er an einen Albtraum, doch bald begegnet er den Geisterrittern erneut, die ihn jagen und sogar mit dem Mädchennamen seiner Mutter anreden. Dabei verspricht ihm ein Ritter, John so lange zu jagen, bis er tot ist. Da nur er diese furchtbaren Gestalten sehen kann, fällt er durch sein merkwürdiges Verhalten bei seinen Klassenkameraden auf. Nur das Mädchen Ella wundert sich nicht und befragt John ganz genau nach seinen Erlebnissen. John ist hin und her gerissen: Endlich interessiert sich jemand für seine unglaublichen Begegnungen, aber muss es ausgerechnet ein Mädchen sein? Gemeinsam mit Ella und ihrer Großmutter macht sich John auf die Spur der durchsichtigen und gefährlichen Rittern und entdeckt dabei ein abenteuerliches Familiengeheimnis.
Rezension:
Das „Geisterritter“ nichts mehr mit den witzigen und zuweilen etwas tüddeligen Flatterwesen aus Cornelia Funke`s „Gespensterjäger“-Geschichten gemeinsam haben, deren erster Band und das aktuelle Buch mittlerweile 18 Jahre trennen, merkt man schon bald. Vielleicht erreicht man heute mit den charmanten Geistern von damals nicht mehr die jungen Leser, denn nicht nur die Charaktere, auch die Sprache hat sich entsprechend verändert und angepasst. „Geisterritter“ ist in einem dynamischen, kraftvollen, manchmal auch drastischen Ausdruck mit detail- und bilderreichen Beschreibungen geschrieben. Das ergibt das zum einen natürlich überaus spannende und heftige Kampfszenen, andererseits sind diese nicht unebdingt etwas für zarte Gemüter. Das sollte man wissen, schließlich ist es ein Kinderbuch (!) mit Leseempfehlung ab 10 Jahre. Cornelia Funke entwirft Charaktere, die sich nicht in Nebensächlichkeiten verlieren und denen man etwas mehr Tiefe wünschen würde. John ist ein quengeliger, egoistischer und selbstbemitleidender Charakter, also kein wirklich sympathischer Protagonist. Leider denkt und agiert er manchmal auch nicht kindlich, was vielleicht aus seiner Erzählposition als Erwachsener liegt. Die nicht unwichtige Ella bleibt blass und auch Vollbart hinterlässt am Ende der Geschichte einen farblosen Eindruck. Die in vielen zusätzlichen, in Klammern gesetzten Bemerkungen ermüden mehr, als dass sie ein originelles Stilmittel für scheinbar vergessene, dennoch wichtige Ergänzungen sind. Den ersten Höhepunkt bekommt die Geschichte bereits nach wenigen Seiten und obwohl es durch die Kampfszenarien mit den Geisterrittern immer wieder faszinierende Momente gibt, ist es nicht gelungen, einen Spannungsbogen durch die ganze Geschichte zu spannen. Verschwörungen, Intrigen aus der mysteriösen Geisterwelt werden aber geschickt mit den wichtigen Werten von Freundschaft und Vertrauen kombiniert und einen besonderen Charme erhält die Geschichte durch die historisch belegten Personen, Orten und Begebenheiten, die hier wunderbar eingebunden worden sind. Bekannte Personen wie William Hartgill, William Longspee und Napoleon Bonaparte werden auf originelle Weise vorgestellt und in der Handlung eingesetzt.
Die Beziehung zwischen Ella und John entwickelt sich erfreulicherweise nicht in romantische Verliebtheit und damit weit weg von einem Kinderbuch, sondern bleibt platonisch. Obwohl das Buch mit den beiden Schlagworten „Internatsgeschichte“ und „Geisterritter“ beworben wird, bleibt die Internatsgeschichte oberflächlich im Hintergrund, denn die kämpferische Welt der Geisterritter dominiert. Das Ende der Geschichte lässt den mutig gewordenen John über seinen Schatten springen, was sich wohlgefällig und nett ergibt.
Das Cover und die eindrucksvollen Illustrationen von Friedrich Hechelmann unterstreichen das Buch stimmig mit ihren dunkel-schaurigen oder skurril-witzigen Darstellungen bis hin zu märchenhaften Bildern, die man immer wieder gerne anschauen mag, jedenfalls als Erwachsener.
Eine fantasievolle Geschichte in einer schönen historischen Kulisse mit stimmungsvollen Illustrationen – weniger bluttriefende Szenen, dafür mehr Struktur und Tiefe – und das Kinderbuch wäre gelungen.
Sabine Hoß
Bewertung: