Nina Blazon
cbt, August 2011
416 Seiten, € 18,99
ab 14 Jahre
Inhalt:
Jay, 17 Jahre alt, ist für ein Austauschjahr von Berlin nach New York gekommen, in die Stadt seiner Träume. Er lebt bei seinem Onkel Matt und Cousin Aiden in einer chaotischen und wortkargen Männerwohngemeinschaft, in der jeder mehr oder weniger für sich alleine haust. In New York flieht Jay zum einen vor seiner Mutter, zu der er kein gutes Verhältnis hat, zum anderen versucht er hinter das Geheimnis seines verstorbenen Vaters zu kommen, den er mit sieben Jahren ein einziges Mal gesehen hat. Nach seinem rätselhaften Unfalltod sind Jay nur noch Postkarten mit mysteriösen Botschaften von seinem Vater geblieben. Zunächst steht jedoch im Zentrum von Jays Interesse Madison, ein Mädchen aus seiner Stufe, die ihn mit ihrer ungewöhnlichen, unnahbaren Art und faszinierenden Indianeraugen anzieht und in die er sich verliebt. Während sich Jay behutsam um eine Freundschaft mit ihr bemüht begegnet er einem anderen Mädchen, Ivy. Jay ist nicht nur über die Anziehungskraft der beiden so unterschiedlichen Mädchen verwirrt. Das offensichtlich nur er Ivy sehen kann, lässt ihn nahezu verzweifeln und durch die Verbindung dieser beiden Mädchen gerät seine Welt förmlich aus allen Fugen. Als Ivy ihn eines Tages aus einer gefährlichen Situation in eine Welt entführt, in der seit einem Jahrhundert keine Menschen mehr leben, sieht Jay sich Herausforderungen gegenüber, die weit über die Entscheidungen zwischen den zwei Mädchen hinausgehen.
Rezension:
Mittlerweile ist es schwer geworden, sich im Genre Fantasy mit originellen und neuen Ideen hervorzuheben. Nach der Zauberzeit von Harry Potter, den zuweilen bisslosen Vampirromanen, dicht gefolgt von Werwölfen und Engeln scheint eigentlich alles thematisch abgegrast zu sein, was dieser Bereich hergibt. Im ihrem neuen Fantasyroman
zeigt Nina Blazon wie, wie souverän sie als Autorin den Spagat zwischen den beiden so unterschiedlichen Genres Fantasy und historischer Roman beherrscht, die sie abwechselnd mit immer größeren Erfolgen bereichert. Mit „Zweilicht“ entführt sie den Leser mit dem17-jährigen Protagonisten Jay in das New York der Gegenwart. Der Autorin gelingt es hervorragend, die teils düstere und geheimnisvolle Handlung, die urbane Fantasy, Science-Fiction und romantische Liebesgeschichte umspannt, in eine lebendige Sprache zwischen stimmungsvollen Gefühlen und eindeutiger Klarheit zu verpacken. Obwohl man konzentriert die Handlung verfolgen muss, da der Wechsel zwischen den
Erzählpositionen zunächst etwas verwirrt, entwickeln die Charaktere im Laufe der Handlung durch ihre feinfühlige Ausarbeitung eine Anziehungskraft, der man sich nicht mehr entziehen kann. Dieser Sog liegt darüber hinaus auch an dem gelungenen Handlungs- und Spannungsaufbau, der am Anfang des Buches noch geruhsam ist, sich im Verlauf jedoch mit rasantem Tempo durch rasche Szenenwechsel wie in einem Actionfilm entwickelt. Überhaupt durchziehen viele Anleihen aus verschiedenen Fantasy- und Science Fiction-Filmen das Buch, was Nina Blazon ausgesprochen gelungen ist. So werden Zitate oder Sätze aus bestimmten Filmszenen perfekt in die Handlung eingebaut, was einen ganz besonderen Reiz und Witz gibt.
Sicher hat es das Arrangement indianischer Mythen und Menschen in einen Tiefschlaf zu versetzen, um sie in ferner Zukunft wieder erwachen zu lassen, schon in Film und Buch gegeben. Trotzdem ist diese Kombination hier nicht zuletzt durch viele überraschende Wendungen hervorragend und wohltuend anders gelungen.
Der Protagonist Jay erwacht in einer neuen Welt, die mit nichts mehr mit seiner alten Realität zu tun hat. In der neuen, eisigen Ära gibt es keine Zeit mehr zum Überlegen, für Kompromisse und auch keine Graustufen mehr, dennoch beschränkt sich die Geschichte keineswegs auf eine schwarzweiß-Sichtweise. Es gibt viel mehr als nur „Zwielicht“, sondern eine Palette vieler changierender Farben zwischen Realität und Vorstellungskraft. Jay besitzt das Talent, zwei Welten zu sehen, das ihn zu einem ganz besonderen Menschen macht, aber er wird sich nur langsam dieser Gabe bewusst.
Auch wenn dystopische Geschichten zur Zeit im Jugendfantasybereich der Trend sind, hat Nina Blazon vor der Kulisse New Yorks der Gegenwart und der eisigen Zukunft alle Elemente perfekt und ein wenig experimentell neu komponiert, was diesen Roman daher so besonders macht und am Ende noch genügend Raum zum Weiterträumen lässt: Faszinierende, einfühlsame Charaktere, eine fesselnde und durchdachte Handlung mit ungewöhnlichen Plot-Twists und Stilelementen, kombiniert mit einer romantischen Liebesgeschichte in einer brillanten Sprache.
Man sollte gut auf seine Träume aufpassen und den nächsten Winter, vor allem in New York, fürchten! 😉
Zum Schluss:
Der Titel passt im Grunde vollkommen zur Geschichte. Trotzdem kann er Assoziationen zu dem englischen „Twilight“ wecken und damit fälschlicherweise auf einen weiteren Blutsaugerroman, was diesem Buch absolut nicht gerecht wird.
Das Cover erinnert sofort an die „Tribute von Panem“-Reihe (Suzanne Collins, Oetinger): Auch hier blickt einem ein von Blättergeäst ein halb verdecktes Gesicht mit ein bis zwei Augen in verschiedenen Farbtönen an. Was einmal von einer Designerin gelungen ist, zeigt in so offensichtlicher Fortsetzung und Übernahme kein Ideen- und Einfallsreichtum.
Schade, dieses magische und besondere Märchen hätte ein neues, originelleres Cover verdient.
Sabine Hoß
Bewertung:
Ein Interview mit der Autorin zu diesem Buch findet Ihr hier: