Tobias Elsäßer, geboren 1973 in Stuttgart, lebt und arbeitet in Bietigheim-Bissingen. Er ist nicht nur Autor von bekannten Büchern wie „Ab ins Paradies“ , Sauerländer 2007, „Abspringen“, Sauerländer 2009 und „Für niemand“, Sauerländer 2011, sondern auch Musiker und Songwriter. In früheren Jahren hat er in einer Boygroup gesungen, diese Erfahrungen hat er in dem teilautobiografischen Roman „Die Boygroup“, Arena 2004, einfließen lassen. Heute ist Tobias neben seiner Arbeit als Autor, Frontsänger der Band „Goldstaub“ und Songwriter. Darüber hinaus ist er immer wieder gern gesehener Dozent im literarischen wie auch musikalischen Bereich an verschiedenen Schulen und leitet für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Workshops.
Im Juli 2011 hat unser Jugendleseclub „Lesezeichen“ bei einem, vom Sauerländer Verlag ausgeschriebenen, Wettbewerb einen Workshop mit Tobias Elsäßer gewonnen, der die Jugendlichen sehr begeistert hat. Im Nachgang habe ich ein Mailinterview mit Tobias geführt:
Tobias, Du bist ein kreativer Tausendsassa: Autor, Musiker, Sänger, Songwriter. Gemäß nach der Huhn oder Ei –Frage – Was war zuerst da: die Musik oder das schriftstellerische Arbeiten?
Tobias Elsäßer:
Ganz klar die Musik. Meine ersten Songtexte erinnern zwar an Kurzgeschichten, aber das Schreiben lag noch in weiter Ferne. In der Schule im Deutschunterricht wird die Kreativität ja auch eher abgewürgt, wenn man von der fünften bis zur achten Klasse nur Grammatik pauken soll.
Gibt es die musikalische Kreativität nur in Verbindung mit dem Schreiben oder kannst oder musst Du das vielleicht auch bewusst voneinander trennen?
Tobias Elsäßer:
Das Schreiben und die Musik gehören für mich nicht zwingend zusammen, was die
Inspiration anbetrifft. Dennoch achte ich bei meinen Büchern sehr auf Rhythmus und Melodie der Sprache. Oft nehme ich Passagen, die ich selbst vorlese mit dem Mikrofon auf, um zu überprüfen, wie der „Sound“ ist. Umgekehrt kann es passieren, dass die Arbeit an einem Buch zu neuen Songs führt. Weil ich eine bestimmte Stimmung musikalisch einfangen möchte.
Die meisten Autoren haben auch in ihrer Kindheit, Jugend gerne und viel gelesen und auch schon viele Schulhefte mit selbst verfassten Geschichten, Gedichten gefüllt. Bei Dir war das etwas anders?
Tobias Elsäßer:
Mein größtes Interesse galt dem Sport. Ich war in jeder freien Minuten auf dem Bolzplatz und habe gekickt. Später wurde dann das Handballspielen zu meiner großen Leidenschaft. Bücher habe ich eher selten angefasst, dafür war ich zu unruhig. Wegen dieser Unruhe und meiner Unfähigkeit mich zu konzentrieren bin ich auch gleich in der vierten Klasse sitzen geblieben. Mit einer fünf in Deutsch, was daran lag, dass meine Mutter Französin ist und ich mich an ihrer interessanten und aus heutiger Sicht amüsanten Rechtschreibung orientiert hab. Die Bücher kamen erst als ich wegen einiger Verletzungen, meinen Traum vom Profi-Handballer begraben musste. Da wollte ich mir das Leben etwas genauer anschauen. Und dabei sind Bücher nun mal sehr hilfreich.
Wann und wie hast Du dann die Liebe zur Literatur gefunden und Dein eigenes Talent als Schriftsteller entdeckt?
Tobias Elsäßer:
Die Liebe zur Literatur beziehungsweise zur Sprache, habe ich so mit 17 entdeckt. Durch Hermann Hesse und Kafka, die mich jeder auf seine Art bis heute faszinieren. Bei Hesse waren es die Sprache und auch der Weitblick, den er schon damals hatte. Bei Kafka, die abgedrehten Gedanken. Was das Talent anbetrifft, habe ich das Gefühl, das es in der Literatur überbewertet wird. Das Schreiben ist sehr viel Handwerk und Disziplin und weniger Talent. Von einem Leistungssportler erwartet keiner, dass er die 100 Meter ohne Training in 10 Sekunden läuft. Jeder weiß, dass vor dem Erfolg Jahre harter Arbeit stehen. Beim Schreiben ist das nicht anders. Man muss unendlich viel üben, um irgendwann etwas Gutes abzuliefern. Ich betrachte meine Arbeit als fortwährenden Lernprozess bei dem ich noch ganz am Anfang stehe.
„Boygroup“ ist ein teils autobiografischer Roman über die Gefahren und ungeschönten Realitäten eines Boygroup-Mitglieds. Da Du selber einmal zwei Jahre Mitglied einer solchen Gruppe warst, fließen sicher auch eigene Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke in die Geschichte mit ein. Wäre es unter anderem Dein Wunsch, dass das Buch die Jugendliche sensibilisiert, die immer ausufernden sogenannten musikalischen „Talent“-Shows endlich kritischer zu sehen?
Tobias Elsäßer:
Mein Erstes Buch besteht zu zwei Dritteln aus Erlebtem. Es ist also kein Roman im eigentlichen Sinne. Ich verstehe es nicht als Warnung vor den Talentshows, die
s heute im Übermaß gibt, sondern als ehrliche Geschichte über einen Jungen, der berühmt werden will und dabei einiges über das Leben und die Menschen lernt. Ich glaube, dass die meisten Jugendlichen mittlerweile wissen, dass es bei großen Castingshows, um die Quote und die Show geht und nicht, um die größten Talente. Der „Schaden“, wenn man das so sagen darf, den Telenovelas, Daily-Soaps etc. anrichten, ist meines Erachtens viel größer. Da hängen die Leuten immer zur selben Zeit vor der Glotze und werden, ohne es zu merken, zu Sklaven, dämlicher Billig-Produktionen. Das finde ich viel gefährlicher, weil es ein Massenphänomen ist.
Deine Bücher setzen sich auf unkonventionelle Weise mit den Themen und Problemen der Jugendlichen auseinander, dabei bist Du sprachlich und gedanklich sehr nah bei der Zielgruppe. Woher nimmst Du Deine Ideen und wie eng ist Deine Zusammenarbeit mit Jugendlichen?
Tobias Elsäßer:
Eine wirkliche Zusammenarbeit mit Jugendlichen gibt es nicht. Die Workshops genügen, um einen Eindruck zu bekommen, was sie beschäftigt und wie sie die Welt sehen. Jugendliche sind meist kritischer als Erwachsene, die bereits Teil des „Systems“ sind. Was die Gedanken anbetrifft, weiß ich nicht, ob man das pauschal sagen kann, dass ich nah an der Zielgruppe bin. Wenn man an eine Brennpunktschule kommt, dann sind die Probleme der Jugendlichen meist andere als auf einem Elite-Internat am Chiemsee.
Gibt es Testleser?
Tobias Elsäßer:
Testleser gibt es, aber die sind allesamt erwachsen.
Wie sieht Deine Schreibarbeit aus: Bist Du ein strukturierter Schreiber, der vorher ein durchdachtes Exposé niederlegt und dies ausfüllst oder hast Du eine Idee und entwickelst diese während des Schreibprozesses mit Personen und Inhalt?
Tobias Elsäßer:
Alles beginnt mit einer Idee. Die Figuren und deren Eigenschaften entstehen oft erst während des Schreibens. Exposés mag ich nicht besonders, weil sie einen auf eine Handlung festnageln und man während der Arbeit an einer Geschichte aber oft feststellen muss, dass es gar nicht funktioniert, wie ursprünglich geplant. Zum Schreiben gehören für mich auch das Chaos und die Unsicherheit, was auf der nächsten Seite passiert.
Du schreibst über realkritische Themen aus der Welt der Jugendlichen. Gibt esThemen oder Genre, wie z.B. Fantasy, Pferdegeschichten oder Science-Fiction, indenen Du auf keinen Fall ein Buch von Dir vorstellen kannst?
Tobias Elsäßer:
Fantasy und Pferdegeschichten kann ich mir nicht vorstellen. Das lese ich selbst nur ungern und es gibt genügend Autoren, die das besser können.
Du schreibst (auf Deiner Webseite), dass es wichtig für Dich ist, das zu tun, was Dir Spaß macht, Geld dagegen ist Dir nicht so wichtig. Das klingt furchtbar einfach, ist es aber in der Realität oft nicht.Wie hoch ist für Dich die Priorität des „Spaßfaktors“ bei Deiner Arbeit und wo machst Du Kompromisse?
Tobias Elsäßer:
Geld braucht man zum Leben. Die Formulierung, dass ich nur das mache, was mir Spaß bereitet klingt irreführend und fast hedonistisch. Ich würde sagen, dass ich versuche, mein Geld mit etwas zu verdienen, dass mir als sinnvoll erscheint. Ich habe nach dem Abitur eine Ausbildung bei einer Versicherung gemacht. Diese Tätigkeit habe ich als schrecklich sinnlos empfunden. Zur Not würde ich auch mal wieder auf der Straße Gitarre spielen, um Geld zu verdienen. Und da ist der Spaßfaktor vor allem in Deutschland nicht sehr groß. Hier wird man eher als Bettler betrachtet, denn als Musiker.
Hast Du (Traum-)Ziele, an die Du Dich heranarbeitest oder lässt Du alles mehr oder weniger auf Dich zukommen, frei nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“?
Tobias Elsäßer:
Eigentlich sind nur Glück und innere Ruhe meine Ziele. Womit auch immer.
Dein Lebensmotto hört sich nach absolutem unabhängigen Leben ohne Netz und doppelten Boden an. Wie wichtig ist Dir diese berufliche)„Unabhängigkeit“?
Tobias Elsäßer:
Sehr wichtig. Ich könnte nur schwer einen Job machen, der mir nichts gibt und nur zum Geld verdienen da ist.
In Deinen Workshops begeisterst Du Kinder und Jugendliche wie auch Erwachsene mit kreativen Ideen, eigene in Schrift und Ton umzusetzen. Dabei lernen die Jugendliche nicht nur in sich hineinzublicken, sondern nehmen auch ihr Gegenüber auf einmal ganz anders wahr. Wie bist Du auf die Idee dieser Workshops gekommen und mit welchem Konzept begegnest Du den immer wieder neuen und unterschiedlichen Gruppen?
Tobias Elsäßer:
Beim Bücherschreiben geht es immer darum, sich in unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Problemen und Zielen hinein zu versetzen. Deshalb will ich in meinen Workshops die Beobachtung des Gegenübers fördern und die Teilnehmer dafür sensibilisieren, dass jeder von uns in gewissen Situationen zum Schauspieler wird. Der Zugang zu guten, zu ehrlichen Geschichten, unabhängig vom Genre, sind glaubwürdige, schillernde Figuren. Um so mehr Menschen man kennt, um so leichter ist es, solche Figuren als Variationen in Geschichten auftauchen zu lassen.
Was begeistert Dich
immer wieder an der Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Tobias Elsäßer:
Ihre Ehrlichkeit. Sie geben einem sofort zu verstehen, wenn sie irgendwas schlecht
finden. Bei Erwachsenen muss oft sehr genau hinschauen, um zu kapieren, was gerade läuft.
Zum Schluss die berühmten drei Fragen:
Wann schreibst Du? (morgens, mittags, abends)
Tobias Elsäßer:
Morgens.
Wie schreibst Du? (PC, Laptop, per Hand)
Tobias Elsäßer:
Am Laptop und per Hand.
Wo schreibst Du? (Baumhaus, Küchentisch, Schreibtisch im Arbeitszimmer, überall)
Tobias Elsäßer:
Am Schreibtisch, am Küchentisch und im Café.
Lieber Tobias, vielen Dank für Deine Zeit und Antworten! Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg bei Deinen Arbeiten zwischen Buch und Deckel sowie als Songwriter und Sänger.
Sabine Hoß