Verkehrt!

Thorsten Nesch

rororo rotfuchs, Januar 2012

224 Seiten, € 7,99

ab 14 Jahre

 

 

Inhalt:

Frank und Elizabeth, beide 15 Jahre alt, gehen in die gleiche Klasse. Das ist aber auch schon so ziemlich das Einzige, was die beiden miteinander verbindet. Während Frank in einer ziemlich versifften Hinterhof-Bude mit seinem Vater und dessen wechselnden Liebschaften haust, residiert Elizabeth in einem vornehmen Wohnviertel mit schmucken Einfamilienhäusern und wird jeden Tag, wegen des langen Schulweges, mit dem Porsche  zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Unterschiedlicher kann man also nicht sein und leben, von daher ist die entgegengebrachte Sympathie für den anderen kaum wahrnehmbar. Als Frank mal wieder zu spät zum Unterricht erscheint und Elizabeth` Freundin fehlt, müssen die beiden, ob sie wollen oder nicht, gemeinsam einen Physikversuch testen. Da weder Frank noch Elizabeth sich wirklich für dieses Fach begeistern können, stellen sie sich mehr als unbeholfen bei dem Versuch an. Wieder einmal behauptet sich der Spruch „Chemie ist das, was kracht und stinkt, Physik ist das, was nie gelingt.“ Denn nachdem es BSSSB gemacht hat, steckt Frank im Körper von Elizabeth und sie wiederum in dem von Frank. Nachdem der erste Schock überwunden ist, trennt man sich, um mit dem neuen Körpergefühl und in der neuen Rolle von einer Katastrophe in die nächste zu schlittern. Eigentlich will Frank gar nicht mehr in seinen alten Körper zurück, denn in seinem neuen Leben hat er alles, was er vorher nicht hatte: Eine Villa mit Pool, genug zu essen – und Brüste! Doch Elizabeth sieht das völlig anders, sie ist entsetzt von ihrem aktuellen Dasein. Außerdem stehen in drei Tagen die Sommerferien an und sie will mit ihrer Mutter nach Singapur fliegen, um dort ihren Vater zu besuchen. Die Zeit wird knapp und keiner von den Beiden hat einen blassen Schimmer, wie sie wieder in den eigenen Körper zurückkehren können.

Rezension:

Die Idee mit vertauschten Rollen, im Körper des anderen gefangen zu sein und von einer absurden Situation in die nächste zu geraten, ist nicht neu und schon oft filmisch umgesetzt worden. So hat sich Thorsten Nesch, dessen herrliches „Roadmovie“-Romandebüt „Joyride Ost“ als bestes deutschsprachiges Jugendbuchdebüt nominiert war, (eine Besprechung zu diesem Buch findet Ihr auf meiner Seite) mutig an diese Idee herangewagt und als Plot für seinen neuen Roman gewählt. Doch so gewagt dieser Einfall ist, so erfolgreich hat der Autor ihn umgesetzt. Die Geschichte von drei Tagen in einem anderen Körper wird in einem temporeichen Wechsel aus der Sichtweise der beiden Protagonisten Frank und Elizabeth erzählt. Thorsten Nesch spielt mit (übertriebenen) Klischees der beiden unterschiedlichen sozialen Schichten: Hier die verwöhnte und mit Reichtum umgebene Elizabeth, da der verwahrloste Frank, der kaum einen Cent in der Tasche hat, in einer vermüllten Wohnung mit seinem heruntergekommenen Vater lebt. Hartz IV trifft auf selbstverständlichen Reichtum. Wie in einem rasanten Film erzählen Frank und Elizabeth im schnellen Wechsel frech und unverblümt von den verzweifelten Versuchen nach ihrem Körperwechsel sich in dem völlig unbekannten Leben des anderen zurechtzufinden. Bilderreiche, herrlich komische Szenen, die einen laut auflachen lassen gibt es reichlich, aber auch leise Worte zwischen den Zeilen sind zu finden, die die beiden völlig unterschiedlichen sozialen Schichten neben aller Komik auch durchaus kritisch beleuchten.  Auch wenn zahlreiche absurde, skurrile Erlebnisse der beiden sich aneinanderreihen und die Sprache jugendlich kess ist, rutscht die Story nicht in die oberflächliche  Klamottenkiste ab. Die Geschichte als moralische Sozialkritik zu bewerten wäre übertrieben und ist sicher auch nicht gewollt. Herrlich die Situationen, in denen Frank zum ersten Mal als Elizabeth am Reitunterricht teilnimmt oder Elizabeth für Frank den ersten Boxkampf durchstehen muss, obwohl sie ihren Gegner eigentlich richtig schnuckelig findet. Auch wenn die Charaktere höchst unterschiedlich sind und beide durch ihre Exentrik durchaus unsympathisch erscheinen könnten, haben sie doch irgendwie einen liebenswerten Charme.“Verkehrt!“ ist ein Roman, der in erster Linie unterhalten will, was er gekonnt und mit sehr viel Ironie und Witz tut. Wenn man hinter der Fassade der schrägen Charakteren und Dialogen schaut, findet man auch durchaus ernste Gedanken, über die weniger schönen Seiten im Leben des anderen, egal ob reich oder arm. Am Schluss ist man, wie Frank und Elizabeth, ein wenig erleichtert, dass es ein „Happy End“ gibt. Und das gibt es nur, weil sie es gemeinsam wollen und auch gemeinsam angehen. Die drei sehr anstrengenden Tage im Körper des anderen haben neben aller Komik auch Verständnis für den anderen und eine zarte Annäherung gebracht.

Eine herrlich schräge, freche Geschichte, die amüsant unterhält und auch noch einen leicht ernsten Blick dahinter gewährt.

Ein besonderes Lob an das wirklich ideenreiche Cover, dass mit den DDR-Ampelmännchen, dabei das rote „Männchen“ ladylike mutiert, schon ein Hingucker ist. Die Figuren führen wie ein roter Faden durch das Buch, indem sie am Anfang jeden Kapitels andeuten, aus welcher Sicht gerade erzählt wird.

Sabine Hoß

Bewertung:

Ein Interview mit dem Autor findet Ihr hier:

 

 

 

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