Thomas Fuchs
Arena, Januar 2012
256 Seiten, € 12,99
ab 12 Jahre
Inhalt:
Jana wohnt in Berlin. Allerdings nicht mitten in der City sondern im Stadtteil Marienfelde, das als Vorstadtsiedlung sich im Laufe der Jahre immer weiter vergrößert hat und mittlerweile eine kleine Stadt für sich ist. Dort lebt Jana wohlbehütet in einer Reihenhaussiedlung in einem geregelten Leben: Die Eltern sind beide Lehrer, Jana spielt Klavier und Basketball, geht gerne und regelmäßig zur Schule, hat Freundinnen und die üblichen Probleme einer Siebzehnjährigen. Als ein Punker ihr in der U-Bahn ihr neues, teures Handy klaut, nimmt sie die Verfolgung auf und gerät dabei in eine Demonstration jugendlicher Autonomen und Hausbesetzer. Ausgerechnet der Punker hilft Jana aus dem Getümmel heraus und nach einer Auseinandersetzung gibt er ihr sogar das Handy zurück. Als sie einige Zeit später von der Polizei eine Ladung zur Beschuldigtenvernehmung erhält, weiß Jana, dass nur der Punker mit seiner Aussage, dass sie nichts mit der Demonstration zu tun hatte, helfen. Sie macht sich auf den Weg und sucht den Punker, von dem sie noch nicht einmal den Namen weiß. Als sie ihn findet, entwickelt sich diese erneute Begegnung völlig anders, wie Jana erhofft hat, denn sie verliebt sich in ihn und Len erwidert diese Gefühle. Jana steckt plötzlich zwischen zwei Welten, zwei Realitäten. Ein Balanceakt, der ihr bisheriges Leben komplett auf den Kopf stellt und ihr Leben verändert, denn irgendwann muss sie wichtige Entscheidungen treffen.
Rezension:
Berlin ist der Handlungsort des neuen Romans von Thomas Fuchs, der auch in dieser Stadt lebt. Das spürt man, denn er beschreibt sehr detailverliebt gewisse Straßen, Viertel, was für einen Ortskundigen sicher interessant sein mag aber jemanden, der noch nie in dieser Stadt war, irgendwann eher langweilt, bisweilen auch nervt. Das „Romeo und Julia“-Thema ist sicher nicht ausgefallen, passt jedoch zu der problematischen Beziehung zwischen dem Punker Len und der bürgerlichen, wohlbehüteten Jana . Autonome Hausbesetzer gibt es nur noch vereinzelt in Großstädten wie Hamburg und Berlin, und auch hier sind sie mittlerweile nur noch temporär ein Thema. Eine Punkszene wie in den achtziger Jahren ist fast völlig verschwunden, selten findet man noch bunte Irokesenköpfe. Statt dessen dominieren rivalisierende türkische oder osteuropäische Banden in den Städten. Der Protagonist Len zeigt, dass Punker in Berlin durchaus noch vorhanden sind und schnorrt sich als freier Mensch, sprich als Obdachloser durchs Leben. Jana erzählt in einer klaren, ruhigen aber auch nicht außergewöhnlichen Sprache. Auf den ersten fünfzig Seiten erscheint sie noch ganz die angepasste Tochter, die sich brav die Vorträge ihres Vater über „Gentrifizierung, soziokulturelle Veränderungen“ anhört, was fade dahinplätschert. Interessant wird es immer dann, wenn Jan in einigen, wenigen Kapiteln aus seiner Sicht erzählt, vom Beginn eines Tagebuches oder das Interview für eine Real-TV-Doku. Obwohl sich Jana unrealistisch schnell in Len verliebt und Hals über Kopf in seine völlig andere Welt reinstürzt, braucht die flüssig und leicht zu lesende Geschichte lange, bis sie einen gefangen nimmt. Im Grunde geht es um das ständige Wechselbad der Gefühle zwischen Jana und Len, in der sie unbedingt will, dass er sich ändert und Len wiederum genau so oft erklärt und begründet, warum er dass nicht will oder kann. Da es relativ vorhersehbar und offensichtlich ist, dass Len seine Einstellung nicht ändern will und diese Liebe keine Zukunft hat, baut sich auch keine wirkliche Spannung auf. Jana stellt zwar durch die Beziehung mit Len fest, dass sich das Zusammenleben ihrer Eltern, ihrer Familie sich verändert hat, doch gleichzeitig merkt man, dass sie trotz – oder vielleicht gerade wegen ihres bürgerlichen Wohlbehütetsein – in gewisser Hinsicht unreif ist. Immer wieder versucht sie, mit besten Absichten, Len aus seiner Sackgasse herauszuholen und auf einen neuen, ihren Weg zu bringen und genauso oft wird sie enttäuscht. Sie geht sogar soweit, dass sie das bisherige Vertrauen ihrer Eltern missbraucht, was nicht zuletzt auch zu einem Riss in das bisher gute Verhältnis führt. Es scheint sogar für einen Moment, dass sich Len von Jana zu einem Leben mit einem Dach über den Kopf überreden lässt, doch diese Hoffnung wird nicht lange erfüllt. Zumindest vorerst. Die Begegnung mit Len hat bei Jana Spuren hinterlassen und sie scheint mit der Erkenntnis, dass es eine Zukunft in ihrem Sinne wahrscheinlich nicht geben wird, langsam zu reifen. Sie hat sich verändert, die Beziehung zu ihren Eltern ist durch ihre Lügen und Unehrlichkeit belastet und man hat sich auseinandergelebt. Die Tatsache, dass sie sich so eindeutig von sogar von ihrer besten Freundin distanziert, die immer zu ihr gehalten hat, überzeugt nicht wirklich. Die Geschichte hat kein kitschiges Happy End, was gut und konsequent ist. Es hat aber auch kein Ende ohne Hoffnung auf eine tatsächlich gemeinsame Zukunft. Liest man nach dem Schluss des Buches noch einmal den Prolog, findet man einen Denkanstoß, wie die Geschichte weitergehen könnte. Dieser „Aha“-Moment ist originell, kommt aber zu spät.
„Treffpunkt Irgendwo“ ist ein sozialkritischer Liebesroman, der zwei völlig unterschiedliche soziale Schichten nebeneinander stellt und dabei die Punkszene aus ihrer dunklen Ecke ins rechte Licht rücken will. Thomas Fuchs will Punker nicht „besser“ darstellen, will nichts entschuldigen oder gar Mitleid erregen. Vielmehr zeigt er am Beispiel von Len, warum Jugendliche in gewisse Milieus abrutschen und auch keine Möglichkeit sehen (wollen), wieder einen anderen Weg einzuschlagen. Dabei sollte man den mittlerweile selten gewordene Punker mit buntem Irokesenschopf nur als Beispiel einer sozialen Randgruppe sehen.
Das Cover ist ausgesprochen gelungen: Graffitis mit knackige, peppige Farben mit einer rauen Oberfläche, das wie ein Stück Mauer anfühlt – Toll!
Bewertung:
Sabine Hoß