Morton Rhue
Aus dem amerikanischen Englisch von Katarina Ganslandt
Ravensburger, Juni 2012
256 Seiten, € 14,99
Inhalt:
Amerika, auf dem Höhepunkt der Kubakrise. Scotts Vater befürchtet einen atomaren Anschlag durch die Russen. Das fürchten mehr oder weniger alle Amerikaner, Scotts Vater jedoch ein wenig mehr, denn er baut, allen spöttischen und neidischen Bemerkungen seiner Nachbarn zum Trotz, einen Bunker im Garten seines Hauses. Hier soll seine Familie den Atomangriff so sicher wie möglich überstehen. Während Scotts Mutter die Aktivitäten ihres Mannes mit Sorge aber auch mit Zweifel beobachtet, bleiben bei Scott und seinem kleinen Bruder Edward viele Fragen unbeantwortet, die zusätzliche Ängste zur unsicheren politischen Lage schüren. Als eines Tages der atomare Angriff Wirklichkeit wird, flüchtet Scott mit seiner Familie in den Bunker, doch auch die Nachbarn drängen in den sicheren Bau. Sollen überhaupt Nachbarn mit in den Bunker und wenn ja, wer und wie viele, denn Scotts Vater hat das Quartier nur für seine Familie ausgelegt? Wie lange müssen sie in dem Bunker bleiben und was erwartet sie, wenn sie ihn wieder verlassen dürfen?
Rezension:
Man ist sofort in der Geschichte gefangen, denn sie beginnt mit dem überstürzten Aufbruch in den rettenden Atombunker mitten in der Nacht bei einem fiktiven atomaren Angriff. Im zweiten Kapitel wechselt Morton Rhue in die zweite Erzählebene, in der der erzählende Protagonist Scott Erlebnisse aus der Vergangenheit mit seiner Familie, Freunde und Nachbarn erzählt. In diesem Wechsel, Rückblicke in die Vergangenheit, der gegenwärtige Aufenthalt in dem Bunker, ist die Geschichte aufgebaut, was zum einen geschickt gewählt ist, zum anderen manches oberflächlich lässt. In den erzählenden Rückblicken von Scott bekommt man einen Einblick in das gesellschaftliche gutbürgerliche Leben im Amerika Anfang der sechziger Jahre, was uns heute prüde, verklemmt und sehr streng erscheint. Moralische Werte werden sehr ernst genommen, kleinere und größere Vergehen der Jungs mit brutaler Prügel bestraft. Scotts Eltern sind sich uneinig über den Sinn des Bunkerbaus. Während die Mutter es für eine übertriebene Aktion hält und den Neid, Spott der Nachbarn ertragen muss, drückt der Vater damit nur sein Verantwortungsbewusstsein für seine Familie aus, die er schützen will. Scotts Mutter befürchtet zu Recht, dass der Bunkerbau nur zusätzliche Angst vor einem ungewissen atomaren Angriff bei den Kindern schürt, der Vater versucht die Söhne in seinen Aktionismus mit einzubeziehen und ihnen damit Angst zu nehmen, was ihm aber nicht wirklich gelingt. In der anderen Erzählperspektive aus dem Bunker erlebt man das Miteinander der Ausharrenden mit allen Spannungen und Auseinandersetzungen. Einige Nachbarn haben sich mit Gewalt und auf Nachgeben von Scotts Vater einen Platz, in dem nur für die Familie ausgelegten Bunker, erkämpft und müssen nun mit den Gegebenheiten klarkommen. So fehlt es zum Beispiel anausreichenden Essen- und Wasservorräten, es gibt Streitigkeiten darüber, wer in welchen Mengen etwas zugeteilt bekommen soll, wie lange man in dem Bunker bleiben muss bis zur Feststellung, dass man „im Angesicht des Todes begreift, wie wertvoll das Leben ist und dafür sogar bereit ist, einen Teil seiner Familie zurückzulassen“. Dem Autor gelingt es durchaus, die emotions- und spannungsgeladene Atmosphäre in dem Bunker nachvollziehbar wiederzugeben, trotzdem bricht er immer dann eine brisante Situation oder Stimmung mit dem Perspektivwechsel eines neuen Kapitels ab, in der man sich mehr Tiefe und Entwicklung gewünscht hätte. So stürzt beispielsweise Scotts Mutter beim Hinabsteigen in den Bunker so unglücklich, dass sie für eine lange Zeit bewusstlos ist und nach ihrem Aufwachen die Umwelt nicht mehr bewusst wahrnimmt und keinen erkennt. Das ist natürlich ein tragischer Schick für die Familie, aber dieser furchtbare Umstand wird nicht konsequent weitergedacht. Völlig unrealistisch wirkt das Ende, als die die Bunkerbewohner bei 55 Röntgenstrahlen nach draußen klettern und auseinander gehen, als hätte man sich mal eben für ein Gewitter untergestellt. Was die Überlebenden dieses fiktiven Atomangriffs draußen erwartet, wird mit dem schalen Satz erklärt: „Es ist so, wie wir befürchtet haben.“ Das kann so schlimm nicht gewesen sein, denn Scotts jüngerer Bruder dreht sich mit ausgebreiteten Armen und den Kopf im Nacken auf dem Rasen. Das letzte Kapitel, in dem der Protagonist Scott als Erwachsener in das Haus seiner Kindheit zurückkehrt und nicht nur den umgebauten Bunker in neuen Dimensionen wiedersieht, macht wie die ausführlichen Beschreibungen über die rückblickenden Erlebnisse mit seiner Familie, Freunden, Nachbarn deutlich, dass autobiografische Erinnerungen des Autors in diesem Roman eine große Rolle spielen, dagegen bleibt das Miteinander der brisant zusammengewürftelten Bewohner im Bunker zu sprunghaft. Die politische Kuba-Krise, das atomare Wettrüsten mit einem fiktiven Atomanschlag klug durchdacht umzusetzen, ist Morton Rhue damit nur bedingt gelungen, was bedauerlich ist. Es scheint eher eine Abrechnung seiner Kindheit zu sein, die ganz bestimmt im Amerika Anfang der sechziger Jahre durch die politischen Umstände wie auch die damaligen gesellschaftlichen, familiären und sozialen Gegebenheiten entsprechend geprägt war.
Was bleibt, ist das beängstigende und mulmige Gefühl, dass auch in unserer Zeit ein atomarer Angriff eine Gefahr bleibt.
Das Cover präsentiert sich spektakulärer, als die Geschichte nachhallt.
Sabine Hoß
Bewertung: