Schwarz wie Schnee

Jutta Wilke

Sauerländer Verlag, September 2012

256 Seiten, € 14,99

ab 15 Jahre

 

 

 

Die siebzehn Jahre alte Kira Berger wacht im Krankenhaus auf und weiß weder wer sie ist, wo sie ist und warum sie überhaupt im Krankenhaus liegt. Die Ärzte erklären ihr, dass sie mit dem Roller in einer Kurve von der vereisten Straße abgekommen ist und durch den wuchtigen Aufprall das Gedächtnis verloren hat. Die Polizei behauptet überdies, man hätte in ihrem Körper Spuren von verschiedenen Drogen gefunden. Darauf kann sich Kira überhaupt keinen Reim machen, denn sie ist sich instinktiv sicher, keine Drogen zu nehmen. Am Krankenhausbett sitzt ihre Mutter, die Kira ebenfalls nicht wiedererkennt. Die Mutter selbst wirkt spröde und gehemmt und beide haben ihre Probleme, tiefere Gefühle füreinander zu zeigen. Julian, ein Klassenkamerad, der mit Kira gemeinsam im Deutsch-LK ist, besucht sie, doch auch an ihn oder an andere Mitschüler fehlt jede Erinnerung. Als Kira aus dem Krankenhaus entlassen wird, lebt sie immer noch in einer völlig fremden, nebelverhangenen Welt. Sie weiß nicht, wer sie ist, wie sie vor dem Unfall gelebt hat, ob sie Freunde gehabt hat und sich gut mit ihrer Mutter verstanden hat. Diese ist schweigsam, erzählt nicht viel und überlässt sehr schnell Kira die Verantwortung, sich in ihrem neuen Leben zurecht zu finden. Kira findet in ihrem Mailbriefkasten eine unheimliche Nachricht, die ihr Angst macht und auf ein  mysteriöseres Leben vor dem Unfall deutet. Dann begegnet Kira in ihrem Wohnblock einem Mädchen, die merkwürdige Bemerkungen fallen lässt, mit denen Kira erst einmal nichts anfangen kann. Puzzlestein für Puzzlestein versucht sie herauszubekommen, welche Zusammenhänge es gibt, was für ein Mensch sie war und ist und warum sie offensichtlich keine Freunde hat. Dabei ist die ständige Angst, etwas furchtbares herauszufinden, was sie sich gar nicht vorstellen kann. Der einzige Mensch, der sich für sie interessiert ist Julian. Doch kann Kira ihm wirklich vertrauen?

Jutta Wilke hat bereits zwei erfolgreiche und empfehlenswerte Kinder- und Jugendbücher im Coppenrath-Verlag präsentiert: „Holundermond“ für die jüngeren und „Wie ein Flügelschlag“ für die älteren Leser. „Schwarz wie Schnee“ ist ihr erster Psychothriller für Jugendliche und ihr erstes Buch bei Sauerländer. Vertauschte und vergessene Identitäten sind in letzter Zeit im Genre Jugendthriller immer wieder ein gern geschriebener Plot, mittlerweile möchte man schon fast sagen ein zu gern geschriebener, denn der Anspruch beim Leser wird damit auch kritischer. Doch Jutta Wilke kann sich hier gut behaupten. Durch die Ich-Erzählperspektive hat man von Beginn an einen intensiven Einblick in das völlig leere und verzweifelte Gefühlsleben der Protagonistin Kira. Am Anfang erzählt sie stockend und mit knappen Worten, entsprechend ihrer Gefühlslage aber trotzdem mit tiefer atmosphärischen Intensität. Im Laufe der Geschichte wird sie ausführlicher und der Erzähltonus auch ruhiger, was mit kluger Struktur aufgebaut ist. Man fühlt die beklemmende Verzweiflung und große Angst des jungen Mädchens, die von heute auf morgen in einer Welt ohne Erinnerung lebt. Sie treibt wie ein Korken auf dem Wasser und versucht mit jeder Äußerung von anderen sich ein Bild von ihrem früheren Leben zu machen. Durch erzählende Perspektivwechsel innerhalb der Handlung gibt es immer wieder neue rätselhafte Ansätze auf der Suche nach dem eigenen Ich, so dass man das Buch nur ungern aus der Hand legt. Die Tatsache, dass Kira trotz Gedächtnissverlust und der daraus resultierenden logischen Verletzlichkeit und Unsicherheit mit ihren 17 Jahren manchmal (für den Leser) offensichtliche Tatsachen nicht begreift oder nicht wahrhaben will, lässt sie naiv erscheinen, was eigentlich nicht so recht passt. Doch vielleicht empfindet man das als älterer Leser etwas zu kritisch. Wirklich Schade ist die Tatsache, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt die Auflösung sehr vorhersehbar ist und zu hastig präsentiert wird, dabei wichtige Fragen unbeantwortet bleiben. Man hat den Eindruck, dass hier am Schluss rigoros gekürzt worden ist, was der Geschichte und der Zufriedenheit, wenn man das Buch aus der Hand legt, leider nicht zugutekommt. Abgesehen davon passt es nicht zu dem Stil, wie die Autorin ansonsten ihre Handlungen und Charaktere aufbaut. Trotz dieser Kritikpunkte bleibt es aber ein fesselnder Thriller, der mit schnellem Tempo von einer starken Protagonistin erzählt wird.

Man darf gespannt sein, was die vielseitige Autorin noch aus ihrer Feder zaubert, denn Schreiben kann sie.

Das dunkle Cover mit den geteilten Gesichtshälften gibt die Stimmung der Geschichte treffend wieder.

Sabine Hoß

Bewertung:

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