Ins Nordlicht blicken

Cornelia Franz

dtv premium, Oktober 2012

280 Seiten, € 12,90

ab 15 Jahre

 

 

 

Inhalt:

Jonathan Querido reist im Sommer 2020 auf der MS Alaska nach Grönland. Es ist für ihn eine Reise in die Vergangenheit, eine Reise an einen Ort , an dem er acht Jahre gelebt hat. Mit neun Jahren kam er als als Pakkutaq Wildhausen in das verschlafene Städtchen Nuuk zu seinem Vater. Bis zum ihrem Tode lebte Pakku bei seiner Großmutter väterlicherseits in Deutschland, denn seine Mutter, eine Inuit, starb bereits kurz nach seiner Geburt und sein Vater blieb als Auswanderer in Grönland. In Grönland wird Pakkus bisheriges Leben komplett auf den Kopf gestellt. Er beherrscht weder die grönländische noch die dänische Sprache, statt den Wandel der Jahreszeiten gibt es nur Kälte und Eis. Hinzu kommt, dass sein Vater nichts mit ihm anzufangen weiß und sich mit Alkohol betäubt, um sein Leben zu ertragen und als Motivator für seine zahlreichen verrückten Ideen braucht. Mit siebzehn Jahren kann Pakku sein Dasein in Nuuk nicht mehr ertragen. Er hat keine Zukunftsperspektiven, sein Alltag ist geprägt von Alkohol, anspruchslosen Gelegenheitsjobs und großer Langeweile, abgelöst vom Backgammon-Spiel im Internet. Pakkus unbekannter Spielpartner lebt in Hamburg, was bei ihm nicht nur Erinnerungen und Heimweh auslöst sondern auch die Idee, abzuhauen und in Hamburg ein neues Leben zu beginnen. Mit Unterstützung seiner grönländischen Freunde schafft es Pakku als blinder Passagier auf ein Schiff mit Zielhafen Hamburg zu kommen. Doch diese Überfahrt wird sein bisheriges und zukünftiges Leben entscheidend verändern. Neun Jahre später reist er als Jonathan Querido wieder nach Nuuk, um herauszufinden, wer er eigentlich ist und wo er hingehört.

 

Rezension:

Cornelia Franz ist eine bekannte und vielseitige Autorin von Kinderbücher (z.B. „Die Kinder vom Drachenland“, dtv oder die „Luis“-Reihe, rororo) aber auch von Jugendbücher wie z.B. „Verrat“ (dtv 2000), das zur etablierten Klassenlektüre geworden ist. Darüber hinaus schreibt sie Sachbücher für Kinder und Romane für Erwachsene.

Für ihr neues Jugendbuch hat die Autorin Grönland als Umgebung und Hintergrund für eine Geschichte um Identitätsfindung gewählt, was  außergewöhnlich wie faszinierend ist. Cornelia Franz schafft es brillante Weise, die Ambivalenz des kalten, abweisenden Grönlands und gleichzeitig die besondere Schönheit und Anziehungskraft, durch das facettenreiche Licht, auf den Charakter des Protagonisten Pakku/Jonathan zu übertragen und in Einklang zu bringen. Dabei hat die Autorin in ihrer Geschichte die heute schon sehr bedenklichen, klimatischen und ökologischen Entwicklungen weitergedacht. Obwohl sie ein Szenario in nicht allzuweiter Zukunft präsentiert (was geschickt gewählt ist), erscheint es leider gar nicht so übertrieben dargestellt, denn die Veränderungen sind auch heute schon deutlich präsent. Die Handlung ist in zwei abwechselnde Zeitebenen und Erzählperspektiven aufgebaut: 2011 erzählt Pakku in der Ich-Form und im Jahre 2020 wird die Geschichte über Jonathan in der dritten Person fortgesetzt. Zunächst erscheint dieser Wechsel noch ein wenig verwirrend und es dauert ein wenig, bis man einen richtigen Zugang zu der Geschichte findet, was aber nicht daran liegt, dass schwer zu erkennen wäre, dass Pakku und Jonathan eine Person sind. Je mehr man von Pakku und seinem Leben in Nuuk kennenlernt, desto besser kann man verstehen, dass er von dort abhauen will. Es geht in diesem Buch nicht nur um die Suche nach Identität, die besonders schwer ist, wenn man zwischen zwei Kulturen steht. Pakku sieht aus wie ein Inuit und wurde als Kind in Deutschland ausgegrenzt. In Nuuk fühlt er sich nicht zu Hause und fremd, obwohl Grönland ein Teil seiner Wurzeln sind. Obwohl Pakku nach seiner Flucht von Grönland in Hamburg ein neues Leben begonnen und seine Vergangenheit hinter sich gelassen hat, wird ihm klar, dass er seine grönländischen Wurzeln zwar verdrängen aber nicht verleugnen kann. Die Reise zurück in seine Vergangenheit zeigt ihm, dass auch in Nuuk das Leben weitergegangen ist und vieles sich verändert hat, nicht zuletzt durch die ökologischen, klimatischen Entwicklungen. Es geht in dieser Geschichte aber auch um die, in diesem Fall sicher kontrovers zu diskutierende, Frage nach Schuld und Vergeben, denn Pakku ist schuld am Tod von Jonathan Querido. Trotz dieser Dramatik ist es ein ruhiger Roman, der auf spektakuläre Gewalt verzichtet. Dafür werden komplexe Themen mit sensiblen Gefühl sehr spannend verbunden, ohne in Klischees abzurutschen.

Cornelia Franz ist ein vielschichtiger und fesselnder Roman über eine ganz besondere  Identitätssuche mit außergewöhnlichem Hintergrund überzeugend gelungen. Nicht zuletzt wegen des männlichen Protagonisten ein Buch, dass die angeblich lesefaulen Jungs ansprechen wird.

Das Cover ist mit der Fischaugenperspektive und dem ungewöhnlichem Licht treffend gewählt.

Sabine Hoß

Bewertung:

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