Sigrid Zeevaert
Thienemann, Juli 2010
240 Seiten, € 12,95
ab 12 Jahre
Inhalt:
Jul, 17 Jahre alt, ist mit seinem Vater auf dem Weg nach Paris. Seine Mutter liegt im sterben und möchte ihn gerne noch einmal sehen. Keine leichte Reise für Jul, denn seine Mutter hat ihn und seinen Vater vor mehr als 10 Jahren verlassen und nie mehr etwas von sich hören lassen. Auch Jana, 16 Jahre, ist unterwegs nach Paris. Sie hat ihr erspartes Geld und all ihren Mut gepackt und will dort ihre Urlaubsliebe suchen. Ihre Mutter samt Freund, ihren Bruder und ihre Schwester will sie hinter sich lassen wir ihr ganzes bisheriges Leben. In Paris kreuzen sich die Wege von Jul und Jana. Obwohl sie sofort Sympathie füreinander spüren gehen sie bald wieder getrennte Wege. Doch sie können einander nicht vergessen und begegnen sie sich erneut. Mit Jana kann Jul all die Probleme, Gedanken, Träume so offen besprechen, wie er es bisher nicht kennengelernt hat. Die beiden erleben unvergessliche Tage und Nächte in Paris bevor sie sich auf eine Reise Richtung Meer begeben, die sie erneut auf eine Probe stellt.
Rezension:
Zwei Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Gründen auf dem Weg nach Paris. Jul auf der Suche nach Antworten, warum seine Mutter ihn und seinen Vater vor Jahren plötzlich verlassen und sich nie mehr gemeldet hat, bis jetzt vor ihrem nahen Tod. Sie lebt im Marais, dem jüdischen Viertel in Paris, was kein Zufall ist, wie ihr Tagebuch später Jul erzählt. Auch die Großmutter ist mit den Gefühlen und Verantwortung in ihrer Rolle nicht zurechtkommen. Sie hat als Kind eine jüdische Freundin verloren, ist mit dieser Situation nie fertig geworden und der Welt entrückt. Das hat auch bei Jules Mutter Spuren und Narben hinterlassen, die ihren Lebensweg beeinflusst haben.
Jana ist auf der Suche zu sich selbst und nach Freiheit. Sie will ihr altes Leben hinter sich lassen, ihre Grenzen erkennen und auch überwinden. Dabei ist sie ganz stark und selbstbewusst und auch wieder ängstlich, traurig und einsam. Das sich die beiden in der Millionenmetropole an der Seine begegnen mag Schicksal sein, vielleicht musste es auch so kommen, denn beide sind auf eine intensive Weise sensibel und offen für die tiefen, gegenseitigen Empfindungen. Zunächst wehrt sich Jana gegen die Zuneigung zu Jul und verlässt ihn. Doch sie vermisst ihn und macht sich auf die Suche. Nachdem sie sich ein zweites Mal begegnen, lässt Jana sich auf Jul ein und beide erleben Tage und Nächte zwischen Liebestaumel und tiefgründigen Gesprächen. Als sie gemeinsam ans Meer reisen ist es wieder Jana, die die Beziehung abbricht, um ihren Weg Richtung Freiheit alleine zu gehen. Aber es wird ihr bewusst, dass das, was sie hinter sich gelassen hat gar nicht so schlecht war, denn woanders fühlt sie sich immer nur als Gast.
Sigrid Zeevaert ist mehr als eine intensive Liebesgeschichte gelungen. Sie erzählt von Freiheit verbunden mit einem Familiengeheimnis, das bis in die Vergangenheit der Nazi-Diktatur und der wahnsinnigen Judenverfolgung reicht und deren Folgen bis in die Gegenwart zu spüren sind. Obwohl Jul sich zunächst desinteressiert zeigt, spürt er schnell, dass er für seine eigene Identität wissen muss, warum seine Mutter sich für ihren Lebensweg entschieden hat. Diese wunderbare Kombination von Vergangenheit, Gegenwart, Ahnenforschung, Identitätssuche, eingebettet in eine schöne Liebesgeschichte berührt nicht nur jugendliche Leser. In einer klaren, knappen aber immer auf den Punkt gebrachten Sprache werden die verschiedenen Stimmungen von Jul und Jana gefühlvoll und nachvollziehbar wiedergespiegelt. Die bilderreichen Beschreibungen von Paris und das pulsierenden Leben lassen in diese Stadt eintauchen, selbst wenn man noch nie dagewesen ist.
„Tage & Nächte“ ist ein Buch, das auf verschiedenen Ebenen Jugendliche wie Erwachsene bewegt, sicher mehr wie ein Mal gelesen und immer wieder neu entdeckt wird.
Sabine Hoß
Bewertung:
Ein Interview mit der Autorin findet Ihr hier.